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erfragen können; überall ward uns Herberge abgeschlagen. Da begegnete uns
unter dem Tore ein ehrbarer Mann, sprach freundlich zu uns und wies uns nach
dem Wirtshaus zum Schwarzen Bären. Und siehe, wie vorher alle Wirte uns
Herberge abgeschlagen hatten, so kam hier der Wirt unter die Tür, empfing uns
und erbot sich selbst gutwillig, uns zu beherbergen und führte uns in die Stube.
Dort fanden wir einen Mann allein am Tische sitzen, und vor ihm lag ein
Büchel; er grüßte uns freundlich, hieß uns näherkommen und zu sich an den Tisch
setzen. Denn unsere Schuhe waren so voll Kot und Schmutz, daß wir aus Scham
über die Kotflecken nicht fröhlich in die Stube eintreten konnten, und drückten uns
heimlich bei der Tür auf ein Bänklein nieder. Da bot er uns zu trinken, was
wir ihm nicht abschlagen konnten. Als wir so seine Freundlichkeit und Herzlichkeit
erkannten, setzten wir uns zu ihm, wie er geheißen, an seinen Tisch, ließen ein
Maß Wein auftragen, damit wir der Ehre wegen wiederum auch ihm zu trinken
böten. Wir vermeinten aber nicht anders, als es wäre ein Reiter, der nach Landes
Gewohnheit da saß mit einem roten Lederkäppel, in Hosen und Wams, ohne
Rüstung, ein Schwert an der Seite. Bald fing er an zu fragen, von wannen
wir gebürtig wären. Wir antworteten: „Von St. Gallen.“ Da sprach er: „Wollt
ihr, wie ich höre, nach Wittenberg, so findet ihr dort gute Landsleute, nämlich
Doktor Hieronymus Schurf und seinen Bruder Doktor Augustin.“ Wir sagten:
„Wir haben Briefe an sie.“ Da fragten wir ihn wieder: „Mein Herr, wißt Ihr
uns nicht zu bescheiden, ob Martinus Luther jetzt zu Wittenberg, oder an welchem
Orte er sonst sei?“ Antwortete er: „Ich habe gewisse Kundschaft, daß der Luther
jetzt nicht zu Wittenberg ist; er wird aber bald dahin kommen. Philippus
Melanchthon aber ist dort, er lehrt die griechische Sprache, so auch andere die
hebräische lehren. In Treue will ich euch raten, beide zu studieren, denn sie sind
notwendig, die heilige Schrift zu verstehen.“ Und als er erfahren, daß wir jetzt
zu Basel studieret, sagte er: „Wie steht es zu Basel? Ist Erasmus noch daselbst?“
Diese Reden kamen uns gar fremd an dem Reiter vor, daß er von den beiden
Schurf, von Philippo und Erasmo, desgleichen von der Erfordernis beider, der
griechischen und hebräischen Zunge, zu reden wußte. Zudem sprach er dazwischen
etliche lateinische Worte, so daß uns bedünken wollte, es sei eine andere Person als
ein gemeiner Reiter. „Lieber,“ fragte er uns, „was hält man im Schweizer Land
von dem Luther?“ Wir antworteten: „Mein Herr, es sind wie allenthalben
mancherlei Meinungen, manche können ihn nicht genugsam erheben und Gott
danken, daß er seine Wahrheit durch ihn geoffenbaret und die Irrtümer zu er-
kennen gegeben hat, manche aber verdammen ihn als einen verruchten Ketzer und
vor anderen die Geistlichen.“ Da sprach er: „Ich denke mir's wohl.“
Unter solchem Gespräch ward es uns gar heimlich, so daß mein Gesell das
Büchel, das vor ihm lag, aufhob und sperrete es auf. Es war ein hebräischer
Pfalter. Da legte er es schnell wieder hin, und der Reiter nahm es zu sich. Und
mein Gesell sprach: „Ich wollte einen Finger von der Hand hergeben, daß ich
diese Sprache verstünde.“ Antwortete er: „Ihr werdet sie wohl begreifen, wenn
ihr anderen Fleiß anwendet; auch ich begehre sie weiter zu erlernen und übe
mich täglich darin.“
Unterdes ging der Tag ganz hinunter, und es wurde sehr dunkel, bis der
Wirt an den Tisch kam. Als er unser hoch Verlangen und Begierde nach dem
M. Luther vernommen, rief er mich, ich sollte vor die Stubentür zu ihm heraus-
kommen. Da sprach der Wirt zu mir: „Dieweil ich erkenne, daß ilr den Luther