Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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urteilen, wohnt mehr Kraft dem Fußvolke bei. Deshalb kämpfen sie untermischt; 
denn leicht fügen und schmiegen sich in den Reiterkampf die gewandten Fuß- 
kämpfer, die sie aus der gesamten jungen Mannschaft auswählen und vor der 
Schlachtreihe aufstellen. Fest bestimmt ist auch ihre Zahl; je hundert sind es aus 
jedem Gau, und eben diese Bezeichnung führen sie unter den Ihrigen. Was zuerst 
Zahl war, ist nun schon Ehrentitel und Rang. Die Schlachtreihe wird in Keilen 
aufgestellt. Vom Platze zu weichen, wenn man nur wieder zum Angriff umkehrt, 
gilt mehr für klug als für feige. Die Leichen der Ihrigen retten sie auch aus be— 
denklichen Schlachten. Den Schild im Stiche gelassen zu haben, ist die größte 
Schandtat: weder beim Opfern gegenwärtig zu sein, noch die Ratsversammlung zu 
betreten, ist dem Beschimpften verstattet, und viele, die den Krieg überlebten, 
haben ihrer Schmach mit dem Stricke ein Ende gemacht. 
7. Bei der Königswahl sehen sie auf Adel, bei der Feldherrnwahl auf Tapfer- 
keit. Doch steht auch den Königen keine unbeschränkte oder unabhängige Gewalt 
zu; auch die Feldherren — Vorbilder mehr als Befehlshaber — sichern sich ihren 
Vorrang durch Bewunderung, wenn sie stets auf dem Platze sind, stets sich hervor- 
tun, stets vor der Schlachtreihe sich bewegen. übrigens Todesstrafe zu ver- 
hängen oder jemand zu binden oder auch nur zu schlagen, ist lediglich den 
Priestern anheimgegeben: nicht wie zur Strafe oder auf des Feldherrn Geheiß, 
sondern gleichsam auf Weisung der Gottheit, die sie in den Schlachten gegen- 
wärtig glauben. Auch tragen sie Bilder und Zeichen mit in die Schlacht, die sie 
aus den heiligen Hainen hervorholen. Was aber vorzugsweise zur Tapferkeit an- 
treibt: nicht das Ungefähr oder zufälliges Zusammentreten bildet eine Schar oder 
einen Keil, sondern Familien oder Sippschaften, und in der Nähe sind die Gegen- 
stände ihrer Liebe. Von dort wird das Geheul der Weiber, von dort das Weinen 
der Kinder gehört. Ihr Zeugnis gilt jedem als das heiligste, ihr Lob als das 
größte. Vor die Mütter, vor die Frauen bringen sie ihre Wunden, und nicht 
scheuen sich diese, sie zu zählen und zu prüfen. Speise und ermunternden Zu- 
spruch bringen sie ihnen in den Kampf. 
8. Es geht die Uberlieferung, einigemal sei die Schlachtordnung, schon zum 
Rückzug geneigt und wankend, von den Weibern wieder hergestellt worden durch 
unablässiges Bitten, durch Vorhalten des Busens und Hinweisen auf die nahe 
Gefangenschaft, die ihnen ein doppelt unerträgliches ÜUbel dünkt, wenn es ihre 
Frauen gilt: so sehr, daß das Freundschaftsband mit den Gemeinden vorzüglich 
sest geknüpft wird, die unter den Geiseln auch edle Jungfrauen stellen müssen. 
Ja, etwas Heiliges und Prophetisches, glauben sie, wohne in ihnen, und weder 
verschmähen sie ihren Rat, noch übersehen sie ihre Aussprüche 
9. Unter den Göttern ehren sie am meisten den Merkurius:), dem an be- 
stimmten Tagen auch Menschenopfer darzubringen für Recht gilt; um des Herkules 
und Mars?) Huld werben sie mit Tieropfen 
UÜbrigens die Götter in Tempelwände einzuschließen oder der Menschen- 
gestalt irgend ähnlich zu bilden, das, meinen sie, sei unverträglich mit der Größe 
der Himmlischen. Wälder und Haine weihen sie ihnen, und mit den Namen der 
Götter bezeichnen sie jenes Geheimnis, das sie nur im Glauben schauen. 
  
1) Merkur ist der westgermanische Wodan. Vgl. Mercurü dies (lat.), mercredi (frz.), 
Wednesday (engl.), Wöns- und Gönsdag (ndd.) —= Mittwoch. 
2) Mars ist der altgermanische Tiwaz (ahd. Zio). Vgl. Martis dies (lat.), mardi (frz.), 
lnesday (engl.), Ziestac (ahd., mhd.) — Dienstag.
	        
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