Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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10. Weissagung und Los beachten sie wie nur irgend ein Volk. Der Brauch 
beim Losen ist einfach. Eine Rute, von einem Fruchtbaum abgeschnitten, zer- 
schneiden sie zu kleinen Reisern und werfen diese, nachdem sie mit bestimmten 
Zeichen gemerkt sind, auf ein weißes Gewand, ohne Ordnung, wie sie gerade 
fallen. Darauf nimmt, wenn das Los von Gemeindewegen befragt werden soll, 
der Gemeindepriester, sonst das Familienhaupt selbst, nachdem er zu den Göttern 
gebetet, den Blick zum Himmel gewandt, dreimal ein Reis auf; die er auf- 
genommen hat, deutet er dann den Zeichen gemäß, die zuvor in sie eingeritzt 
sind. Sind sie ungünstig, findet keine weitere Befragung über denselben Gegen- 
stand für den Tag statt: sind sie günstig, wird noch die Zuverlässigkeit der 
Prophezeiung einer Prüfung unterworfen. — Jene allgemeine Weise, Geschrei 
und Flug der Vögel zu befragen, ist auch hier wohl bekannt; eine Eigentümlichkeir 
des Volkes ist, weissagende und mahnende Zeichen auch von Pferden zu ent- 
nehmen. Von Gemeindewegen werden diese in eben jenen heiligen Wäldern und 
Hainen gehalten: schneeweiß und nie berührt von irdischer Arbeit. Wenn sie den 
heiligen Wagen ziehen, begleitet sie der Priester mit dem Könige oder dem 
Fürsten der Gemeinde, um ihr Wiehern und Schnauben zu beobachten. Und 
keine Art von Wahrsagung findet größeren Glauben, nicht allein bei dem Volke, 
sondern bei den Vornehmen und Priestern. Sich nämlich halten sie für Diener 
der Götter, jene für kundig des Götterrats. 
Es gibt auch noch eine andere Weise, Zeichen zu beobachten, vermittelst 
welcher der Ausgang ernster Kriege erkundet wird. Aus dem Volke, welchem der 
Krieg gilt, suchen sie auf irgend eine Weise einen Gefangenen aufzugreifen; 
diesen lassen sie dann mit einem aus der Mitte ihrer Landsleute Gewählten 
kämpfen, jeden mit seinen heimischen Waffen. Der Sieg des einen oder des 
anderen wird als Vorspiel der Entscheidung angesehen. 
11. Über minder wichtige Angelegenheiten ratschlagen die Fürsten, über be- 
deutendere alle insgesamt, so jedoch, daß auch über das, worüber die Ent- 
scheidung dem Volke zusteht, eine Vorberatung bei den Fürsten stattfindet. Sie 
treten, falls nicht unerwartet etwas Besonderes vorfällt, an fest bestimmten 
Tagen zusammen, bei Neumond oder Vollmond; denn diese Zeit gilt ihnen als 
die gesegnetste für den Beginn eines Geschäftes. Nicht nach der Zahl der Tage, 
wie wir, sondern nach der Zahl der Nächte rechnen sie 1); so setzen sie Termine, 
so treffen sie Verabredungen: die Nacht scheint des Tages Führerin. Das ist 
aber ein Fehler, der aus ihrer Freiheit hervorgeht, daß sie nicht auf einmal und 
wie auf Befehl zusammenkommen, sondern bei der Saumseligkeit der Kommenden 
auch der zweite und wohl noch der dritte Tag verloren geht. Wie es der Menge 
behagt, lassen sie sich bewaffnet nieder. Stillschweigen gebieten die Priester, die 
dann auch das Strafrecht haben. Sodann wird der König oder ein Fürst je nach 
seinem Alter, seinem Adel, seinem Kriegsruhm, seiner Beredsamkeit angehört: 
mehr angesehene Ratgeber als befehlende Machthaber. Mißfiel die Meinung, so 
weisen sie sie mit unwilligem Geschrei ab; gefiel sie, so schlagen sie die Frameen 
zusammen. Als die ehrendste Art des Beifalls gilt es, mit Waffenklang zu loben. 
12. Verstattet ist es, bei der Versammlung auch Klagen und Prozesse auf 
Tod und Leben anhängig zu machen. Zwischen den Strafen machen sie einen 
1) Reste dieser Zählung zeigen Fastnacht, Weihnachten und die heiligen 12 Nächte, 
sowie engl. fortnight (14 Tage); vgl. auch Sonnabend.
	        
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