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7. Entsaget also, geliebteste Brüder, soviel als möglich, gänzlich eurem
Willen, übergebt und opfert freiwillig eurem Schöpfer in seinen Dienern
die Freiheit, die er selbst euch verliehen hat. Haltet es für keine geringe
Frucht eurer Willensfreiheit, daß es euch gestattet ist, sie demjenigen, von dem
ihr sie empfangen habt, durch den Gehorsam vollkommen zurückzugeben
8. Darum ist es auch sorgfältig zu verhüten, daß ihr jemals den Willen des
Oberen (den ihr für den göttlichen halten müsset) nach dem eurigen zu drehen
suchet; denn dies hieße nicht, euren Willen dem göttlichen gleichförmig machen,
sondern den göttlichen Willen nach der Richtschnur des eurigen lenken wollen und
die Ordnung der göttlichen Weisheit umkehten
9. Wer sich aber Gott gänzlich hinopfern will, der muß außer dem Willen
auch den Verstand (und dies ist die dritte und höchste Stufe des Ge-
horsams) zum Opfer bringen, so daß er nicht nur dasselbe wolle, sondern
auch dasselbe urteile, wie der Obere und dessen Urteile das seinige unterwerfe,
inwieweit ein gehorsamer Wille den Verstand dazu zu bewegen vermag .. Denn
da der Gehorsam eine Art von Brandopfer ist, durch welches sich der ganze
Mensch ohne irgendeinen Vorbehalt vollständig seinem Schöpfer und Herrn durch
die Hände seiner Diener im Feuer der Liebe opfert, und da er eine vollkommene
Verzichtleistung ist, durch welche der Ordensmann freiwillig allen seinen Rechten
entsagt, um der göttlichen Vorsehung durch die Führung der Oberen zur Leitung
und zum Besitze freiwillig sich hinzugeben, so kann nicht geleugnet werden, daß
der Gehorsam nicht bloß die Ausführung, daß jemand die Befehle vollziehe, und
den Willen, daß er es gern tue, sondern auch das Urteil in sich begreift, daß
alles, was der Obere anordnet und für gut findet, auch dem Untergebenen nicht
nur als recht, sondern auch als wahr erscheine, inwieweit, wie ich gesagt habe, der
Wille durch seine Kraft den Verstand zu beugen vermag
18. Das letzte Mittel, den Verstand zu unterwerfen, das sowohl leichter und
sicherer ist, als auch bei den heiligen Vätern üblich war, besteht darin, daß ihr
bei euch selbst die Überzeugung festhaltet, alles, was immer der Obere befiehlt,
sei der Befehl und der Wille Gottes; und gleichwie ihr allem, was der katholische
Glaube lehrt, sogleich mit ganzem Herzen beizustimmen bereit seid, so sollt ihr
auch zur Vollziehung dessen, was immer der Obere sagt, durch eine
Art blinden Dranges des zu gehorchen begierigen Willens ohne alle
Untersuchung angetrieben werden
117.
Rudolfs II. Mcjestätsbrief.
1609.
Fundort: Joh. Chr. Lünig, Teutsches Reichsarchiv. Partis speclalls continuatio I. Leipzig 1711.
S. 122. XCVII.
Wir, Rudolf II.,tun kund zu ewigem Gedächtnis mit diesem Brief aller-
männiglich: Nachdem alle drei Stände unseres Königreichs Böheimb, die den
Leib und das Blut des Herrn Jesu Christi unter beiderlei Gestalt empfangen
bei dem .. Landtag, bei uns, als König in Böheimb, in aller Demut und Unter-
tänigkeit dieses gesucht, damit sie bei der gemeinen böheimischen, von etzlichen
augsburgisch genannten ...Konfession und freien Exereitio ihrer christlichen
Religion sub utraque ungehindert männiglich gelassen.., so haben wir aus könig-
licher Macht in Böheimb die Stände sub utraque mit diesem unseren Majestäts-