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kommen möchte. Es trug sich aber zu, daß das ganze Ministerium 1), Schulkollegen
und Rat sich heimlich vereinigt hatten, daß sie ohne Wissen der gemeinen Bürger-
schaft nachts neun Uhr die Tore wollten öffnen lassen und davongehen mit Weib
und Kind. Das erfuhr ich, ging deswegen in des Herrn Stadtschreibers Behausung,
wo die Herren sich alle versammelten; niemand aber wollte meiner achten noch mich
kennen. Ich setzte mich allein an einen Tisch im Finstern; da wurde ich gewahr, wie
ein fein ehrbarer Hut am Nagel hing. Ich dachte, wenn dieser bei ihrem Aufbruch
liegen bliebe, so wäre es mir gut. Geht doch ohnedies alles zugrunde nach dem
Abzug. Und was ich wünschte und gedachte, das geriet mir. Es ging an ein
Scheiden, Heulen und Abschiednehmen, ich legte den Kopf auf den Tisch wie ein
Schlafender. Als nun fast jedermann im Abziehen war, hängte ich den langen
Störcher an die Wand, tat einen Tausch und ging mit den anderen Herren hinaus
in die Gasse.
Da war diese Verabredung unter den Leuten offenbar geworden. Und un-
zählig viele Leute saßen mit ihren Paketen auf der Gasse, auch viele Wagen und
Karren waren angespannt, die alle, als das Tor aufging, mit fortwanderten. In
Summa etliche tausend Leute zogen in Traurigkeit fort. Ich und mein Haufe
kamen um 12 Uhr Mitternacht nach Themar, welche Stadt sich mit uns auch auf-
machte, so daß wir abermals etliche hundert mehr wurden. Als wir gegen Morgen
in ein Dorf kamen, wurden die Leute erschreckt, daß sie Haus und Hof auch zurück-
ließen und mit uns fortzogen. Wir waren etwa eine Stunde in der Herberge ge-
wesen, so kam die Nachricht, daß die Kroaten diesen Morgen wären zu Themar
eingefallen, hätten geplündert, dem Bürgermeister den Kopf aufgespalten, die
Kirche ausgeplündert, auch die Orgelpfeisfen auf den Markt hinausgetragen. Da
war's hohe Zeit, daß wir gewichen waren.
Das währte etwa fünf oder sechs Tage, da kam die Nachricht, die Feinde
wären von Koburg aufgebrochen. Jetzt konnte ich nicht länger bleiben. Ich lief
geschwind auf Römhild zu und kam endlich als erster nach Heldburg zurück, gerade
da man die Erschlagenen auf einem Karren auf den Gottesacker führte. Als ich
solches sah, ging ich auf den Gottesacker und fand siebzehn Personen in einem
Grabe liegen, darunter waren drei Ratspersonen, eine mein Schwiegervater, der
Kantor, etliche Bürger, der Hofmeister, Landknechte und Stadtknechte. Waren alle
greulich zugerichtet. Nach diesem ging ich in meiner Schwiegerin Haus, da fand
ich sie krank und vom Rädeln und Zwicken mit Pistolenschrauben so übel zu-
gerichtet, daß sie mir kaum Rede geben konnte. Sie gab sich darein, sie müßte
auch sterben. Darum befahl sie, ich solle mein Weib und meine Kinder, die der
Feind mitgenommen, suchen lassen. Gern hätte ich zu Heldburg etwas gegessen, es
war aber weder zu essen noch zu trinken da. Laufe deswegen hungrig und er-
schrocken auf Poppenhausen zu, dort nicht allein mich zu erquicken, sondern auch
Boten zu schaffen, die mein Weib und meine Kinder suchten und auslösten.
Unterdessen bereiteten meine Pfarrkinder zu Poppenhausen eine Kuh, die den
Kriegsleuten entlaufen war; diese erwartete ich mit hungrigem Magen. Da aßen
wir Fleisch genug ohne Salz und Brot. Über der Mahlzeit kam mir Nachricht,
mein Weib wäre gekommen, was auch wahr war.
Anno 1634 war es noch viel ärger. Darum tat ich aus dem Weg, was ich
konnte, gen Stelzen zum Pfarrer meine Betten, zwei Kühe, Kleider usw.; aber
1) Die Gesamtheit der Geistlichen.
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