Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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Es ist dies ein schmaler Steg zwischen unabsehbaren Sümpfen, einst von Lucius 
Domitius!) ausgedämmt; im übrigen war das Land morastig, voll zähen, dicken 
Schlammes oder gefährlich wegen versteckter Bäche; rings herum allmählich an- 
steigende Waldungen, die damals Arminius vollständig besetzt hielt, da er auf 
Richtwegen und in schnellem Marsche den Soldaten, die an Gepäck und Waffen 
schwer zu tragen hatten, zuvorgekommen war. Cäcina, der hin und her überlegte, 
wie er die Brücken, die vor Alter eingesunken waren, herstellen und dabei den 
Feind abwehren könnte, beschloß, auf dem Punkte ein Lager aufzuschlagen, damit 
zugleich die Arbeit und von anderen der Kampf begonnen würde. 
64. Die Barbaren, deren Streben es war, die Posten zu durchbrechen und 
sich auf die, welche beim Schanzen beschäftigt waren, zu stürzen, beunruhigten 
uns, zogen um uns herum, stießen mit uns zusammen. Durcheinander hörte man 
das Rufen der Arbeiter und der Kämpfer. Und alles stand den Römern gleicher- 
maßen entgegen: der Boden mit seinem tiefen Schlamme, nicht haltbar genug, um 
fest zu stehen, zu schlüpfrig, um sicher vorzurücken, die Soldaten, niedergedrückt durch 
die Last der Panzer; auch die Wurfgeschosse konnten sie mitten im Wasser nicht 
recht schwingen. Anderseits die Cherusker, gewohnt, in Sümpfen Schlachten zu 
schlagen, schlanke Gestalten, ungeheure Lanzen, geschickt, selbst aus der Ferne 
Wunden beizubringen. Erst die Nacht entzog die schon wankenden Legionen dem 
ungünstigen Kampfe. Die Germanen, des glücklichen Erfolges wegen unermüdlich, 
verstatteten sich auch da noch keine Ruhe: was an Gewässern auf den rings an- 
steigenden Höhen entspringt, das leiteten sie in die Niederungen. Da so das Erd- 
reich unter Wasser stand und überflutet ward, so viel von der Verschanzung fertig 
war, verdoppelte sich der Soldaten Mühe. Das war das vierzigste Jahr, das 
Cäcina, gehorchend oder befehlend, im Kriegsdienste zubrachte, in glücklichen wie 
mißlichen Lagen wohlbewandert und deshalb unverzagt. Wie er so die Zukunft 
überdachte, fand er kein anderes Mittel, als den Feind in den Wäldern fest- 
zuhalten, bis die Verwundeten und, was den schwerer beweglichen Teil des Heeres 
bildete, voraus wären. Inmitten nämlich der Berge und Sümpfe erstreckte sich 
eine Ebene, die einen Marsch in schmalen Zügen verstattete. Bestimmt wird von 
den Legionen die fünfte für den rechten Flügel, die einundzwanzigste für den 
linken, die erste, den Zug zu führen, die zwanzigste zur Abwehr gegen etwaige 
Verfolgung). 
65. Das Entgegengesetzte wirkte zusammen, die Nacht zu einer ruhelosen zu 
machen: die Barbaren erfüllten bei festlichem Mahle mit frohem Gesange oder 
wildem Getöse die Täler zu ihren Füßen und die widerhallenden Waldhöhen: bei 
den Römern trübe Wachtfeuer, abgerissene Laute, und sie selbst lagerten ohne 
Ordnung am Walle oder irrten durch die Zelte, schlaflos mehr als wachend. Den 
Feldherrn schreckte überdies ein grauenvoller Traum. Er glaubte den Quintilius Varus, 
mit Blut bespritzt, aus den Sümpfen aufsteigen zu sehen und zu hören, wie er ihn 
gleichsam zu sich rief; doch habe er ihm nicht Folge geleistet, und die Hand, die er 
ihm entgegenstreckte, zurückgewiesen. — Ass der Tag graute, wichen die Legionen, 
1) Der Legat Lucius Domitius Ahenobarbus war nach dem ersten Weggange des 
Tiberius einige Jahre (6—2 v. Chr.) in Germanien tätig. · 
2)DieLegionen,diedasrömischeReichaufstellte,erhielten(wieun1ereTruppen- 
einheiten) Nummern; außerdem hatten sie meistens noch besondere Beinamen nach dem 
Standquartier, nach den Kaisern als Chefs, nach Gottheiten usw. oder irgendwelche ehrende 
Prädikate.
	        
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