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nehmen konnte, ohne von der Sesselreihe aufzustehen. Und zuerst trat herein
der Truchseß des Attila; er trug eine Tafel voll Fleisch, und die Diener, welche
allen aufwarteten, setzten nach ihm Brot und Zukost auf die Tische. Den anderen
Barbaren und uns wurden leckere Gerichte zugerichtet, welche auf silbernen
Scheiben lagen, für den Attila aber lag auf der hölzernen Tafel nichts als Fleisch.
Mäßig erwies er sich auch in allem übrigen; denn den Männern des Mahles
wurden goldene und silberne Becher gegeben, sein Trinkgefäß war von Holz.
Schlicht war auch sein Gewand; es zeigte keine andere Sorgfalt, als daß es rein
war; auch sein umgegürtetes Schwert und die Bänder der Barbarenschuhe, auch
das Geschirr des Rosses waren nicht, wie bei den übrigen Skythen:), mit Gold
oder Steinen oder anderen Kostbarkeiten geschmückt. Und als die Speisen des
ersten Ganges verzehrt waren, standen wir alle auf, und nicht eher kam der
Stehende in den Sessel, als bis nach der früheren Reihenfolge jeder einen vollen
Becher Wein, der ihm gereicht wurde, austrank und für Attila Heil erflehte. Als
er auf diese Weise geehrt war, saßen wir nieder, und jedem Tisch wurde die
zweite Tafel aufgesetzt, welche andere Gerichte hatte. Nachdem sich alle auch von
diesen bedient hatten, standen wir auf dieselbe Weise auf, tranken wieder aus und
setzten uns. Als es Abend wurde, zündete man Fackeln an, und zwei Barbaren,
welche dem Attila gegenübertraten, sagten selbstverfaßte Lieder her, worin sie
seine Siege und Kriegstugenden besangen. Auf die Sänger schauten die Gäste;
die einen freuten sich über die Gedichte; die anderen dachten an ihre Kämpfe und
wurden begeistert; manche aber weinten, denen durch die Zeit der Leib kraftlos
geworden war und der wilde Mut zur Ruhe gezwungen?).
Nach den Gesängen trat ein skythischer Narr ein, welcher Seltsames, Un-
sinniges und Albernes herausstieß und allen Gelächter erregte. Nach ihm erschien
Zerkon, der Maurusiers), lächerlich durch seine Häßlichkeit und sein Stammeln;
denn er war zwerghaft, buckelig, krumm von Beinen, mit einer Nase, die so auf-
gestülpt war, daß man sie kaum vor den Nasenlöchern ah Er erregte allen
durch Aussehen, Tracht, Stimme und die zusammengestoppelte Rede, welche
Lateinisch, Hunnisch und Gotisch durcheinander mengte, ein unauslöschliches Ge-
lächter. Nur dem Attila nicht. Denn dieser blieb unverändert und sein Antlitz ohne
Bewegung, und weder im Wort, noch im Tun zeigte er Heiterkeit, außer daß er
den jüngsten seiner Söhne, als dieser eintrat und zu ihm kam, an der Wange zog
und mit freundlichen Augen anblickte. Als ich mich aber wunderte, daß er die
anderen Kinder nicht beachte und für dieses Neigung habe, erzählte mein Tisch-
nachbar, ein Barbar, welcher der lateinischen Sprache kundig war und mich zuvor
ermahnt hatte, nichts von seinen Reden weiter zu sagen, daß die Wahrsager dem
Attila verkündigt hätten, sein Geschlecht werde herunterkommen, durch diesen Sohn
aber wieder erhöht werden. Als sie das Gelag in die Nacht hineinzogen, wollten
wir endlich dem Trunk nicht mehr Bescheid tun und entfernten uns.
1) Die Byzantiner nannten alle Völker nördlich von der Donau Skythen.
:) Die beiden „Barbaren“ waren vermutlich Ostgoten. Priskos überliefert hier eines
der wenigen Beispiele, die uns zeigen, wie sehr die alten, heute verschollenen Helden-
gesänge die Herzen der Hörer erbeben ließen, und wie die Heldendichtung aus dem Lied
erwachsen ist, das zum Ruhme des Königs in seiner Methalle erscholl.
*) Maurusier nannte man die Bewohner Mauretaniens, des etwa dem heutigen
Marokko entsprechenden Teils von Nordafrika.