Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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unauslöschliche Feuer brennen sehen. Auch wirft er große und kleine Steine aus, 
und Lavaströme brechen aus seinem Innern hervor und wälzen sich die Abhänge 
herab.) Am Fuß des Vesuvs sind Quellen mit trinkbarem Wasser, aus denen ein 
Fluß namens Drakon entsteht, der bei Nuceria#) vorbeifließt. An den Ufern dieses 
Flusses schlugen damals die beiden Heere ihre Lager auf. Der Drakon ist zwar 
nur ein kleiner Fluß, aber für Reiter und Fußgänger nicht passierbar, da er in 
einem engen, tiefen Bett einherfließt und seine Ufer außerordentlich abschüssig 
sind. Ob das durch die vulkanische Natur des Bodens oder die Kraft des Wassers 
bewirkt ist, vermag ich nicht zu sagen. Die Goten besetzten nun die Brücke, welche 
über den Fluß führte, und hatten ihr Lager dicht an derselben. Sie wurde durch 
hölzerne Türme und Maschinen aller Art, unter anderen auch durch sogenannte 
Ballisten 2) befestigt, damit die Goten ihre Feinde durch Schüsse von oben be- 
lästigen könnten. An ein Nahgefecht war nicht zu denken, da der Fluß, wie schon 
bemerkt, die Gegner trennte; man trat nur so dicht wie möglich ans Ufer und 
beschoß sich gegenseitig. Auch einige Zweikämpfe kamen vor, wenn ein Gote die 
Brücke überschritt und dazu aufrief. So lagen die Heere zwei Monate einander 
gegenüber. Und solange die Goten die See beherrschten und zu Schiff Lebens- 
mittel heranschaffen konnten, vermochten sie standzuhalten, da ihr Lager vom Meer 
nicht weit entfernt war. Bald aber bemächtigten sich die Römer der feindlichen 
Schiffe durch den Verrat eines gotischen Mannes, der den Oberbefehl über die 
ganze Flotte hatte, und außerdem kamen nun unzählige Schiffe für sie aus 
Sizilien und den anderen Teilen des Reiches. Außerdem ließ Narses am Fluß- 
ufer hölzerne Türme aufstellen, welche den Goten allen Mut benehmen mußten. 
Deshalb geraten die Goten, die bereits Mangel an Lebensmitteln litten, in große 
Bestürzung und ziehen sich auf einen Berg ganz in der Nähe zurück, den die 
Römer auf Lateinisch „Mons Lactarius'"s) nennen. Dorthin konnten ihnen die 
Römer nicht folgen. Aber die Barbaren sollten sofort bereuen, sich dorthin zurück 
gezogen zu haben, da sie noch viel größeren Mangel leiden mußten und gar kein 
Mittel hatten, für sich und die Pferde irgend etwas aufzutreiben. Deshalb schien 
es ihnen besser, den Tod in offener Schlacht zu suchen, als Hungers zu sterben: 
unerwartet rückten sie vor und machten plötzlich einen Angriff auf die Feinde. 
Die Römer wehrten sich den Umständen gemäß, d. h. nicht in Reih und Glied 
nach Schwadronen oder Regimentern unter richtigem Kommando, sondern bunt 
durcheinander, ohne selbst die gegebenen Befehle hören zu können. Dennoch ver- 
teidigten sie sich, so gut es ging, mit aller Kraft. Die Goten hatten ihre Pferde 
laufen lassen und standen alle zu Fuß, mit der Front gegen den Feind, in einer 
tiefen Phalanx. Als das die Römer sahen, stiegen sie ebenfalls ab und stellten 
sich in derselben Formation auf. 
Jetzt komme ich an die Beschreibung einer höchst denkwürdigen Schlacht und 
des Heldenmuts eines Mannes, der in keiner Beziehung einem der sogenannten 
Herven nachsteht"). Und zwar will ich von Tejas reden. Die Goten stachelte ihre 
1) Nrceria ist das heutige Nocera, südöstlich vom Besuv. 
G 4 Die Ballisten (deutsch Blyden) waren schwere Wurfgeschütze der Römer und 
riechen. 
2) Mons Lactarius bedeutet wörtlich Milchberg; er liegt östlich von der Trümmerstätte 
des alten Stabiä, westlich von Nocera. 
*) Man bedenke, daß es ein Feind des gotischen Volkes ist, der so schreibt.
	        
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