Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

verzweifelte Lage zur Tapferkeit an; die Römer leisteten ihnen, obgleich sie ihre 
Verzweiflung bemerkten, mit allen Kräften Widerstand, da sie sich schämten, dem 
schwächeren Gegner zu weichen. Beide gingen mit Ungestüm auf die nächst- 
stehenden Feinde los, die einen, weil sie den Tod suchten, die anderen, weil sie um 
die Palme des Sieges stritten. Früh am Morgen begann die Schlacht. Weithin 
kenntlich stand Tejas mit wenigen Begleitern vor der Phalanx, von seinem Schilde 
gedeckt und die Lanze schwingend. Wie die Römer ihn sahen, meinten sie, mit 
seinem Fall werde der Kampf sofort zu Ende sein, und deshalb gingen gerade 
die tapfersten, sehr viele an der Zahl, geschlossen gegen ihn vor, indem sie alle 
mit den Speeren nach ihm stießen oder warfen. Er aber fing alle Speere mit 
dem Schilde, der ihn deckte, auf und tötete viele in blitzschnellem Sprunge. 
Jedesmal, wenn sein Schild von aufgefangenen Speeren ganz voll war, reichte 
er ihn einem seiner Waffenträger und nahm einen anderen. So hatte er ein 
Dritteil des Tages unablässig gefochten. Da ereignete es sich, daß in seinem 
Schilde zwölf Speere hafteten, so daß er ihn nicht mehr beliebig bewegen und die 
Angreifer nicht mehr damit zurückstoßen konnte. Laut rief er einen seiner Waffen- 
träger herbei, ohne seine Stellung zu verlassen oder nur einen Finger breit 
zurückzuweichen. Keinen Augenblick ließ er die Feinde weiter vorrücken. Weder 
wandte er sich so, daß der Schild den Rücken deckte, noch bog er sich zur Seite, 
sondern wie mit dem Erdboden verwachsen, stand er hinter dem Schilde da, mit 
der Rechten Tod und Verderben gebend, mit der Linken die Feinde zurück- 
stoßend — so rief er laut den Namen des Waffenträgers. Dieser trat mit dem 
Schilde herzu, und er nahm ihn sofort statt des speerbeschwerten. Bei dieser Be- 
wegung war nur einen kurzen Augenblick seine Brust entblößt: ein Speer traf 
ihn, und er sank sofort tot zu Boden. Einige Römer steckten seinen Kopf auf 
eine Stange und zeigten ihn beiden Heeren, den Römern, um sie noch mehr an- 
zufeuern, den Goten, damit sie in Verzweiflung den Kampf aufgäben. Die Goten 
taten das aber keineswegs, sondern kämpften bis zum Einbruch der Nacht, ob- 
wohl sie wußten, daß ihr König gefallen war. Als es dunkel geworden war, 
ließen die Gegner voneinander ab und brachten die Nacht unter den Waffen zu. 
Am folgenden Tage erhoben sie sich früh, nahmen dieselbe Aufstellung und kämpften 
wieder bis zur Nacht. Keiner wich dem anderen auch nur um eines Fußes Breite, 
obgleich von beiden Seiten viele den Tod fanden, sondern erbittert setzten sie die 
furchtbare Blutarbeit fort, die Goten in dem vollen Bewußtsein, ihren letzten 
Kampf zu kämpfen, die Römer, weil sie sich von jenen nicht überwinden lassen 
wollten. Zurletzt schickten die Barbaren einige von ihren Vornehmen an Narses 
und ließen ihm sagen, sie hätten wohl gespürt, daß Gott wider sie sei — sie 
fühlten, daß eine unüberwindliche Macht ihnen gegenüberstehe — und durch die 
Ereignisse über den wahren Sachverhalt belehrt, wollten sie ihre Meinung ändern 
und vom Kampf ablassen, nicht um Untertanen des Kaisers zu werden, sondern 
um bei irgendwelchen anderen Barbaren in Freiheit zu leben. Sie baten, die 
Römer möchten ihnen einen friedlichen Abzug gestatten und, billiger Erwägung 
Raum gebend, ihnen die Gelder als Wegzehrung belassen, die sie in den Kastellen 
Italiens jeder früher für sich aufgespart hätten. Hierüber ging Narses mit sich zu 
Rate. Sein Unterfeldherr Johannes redete ihm zu, diese Bitte zu gewähren und 
nicht weiter mit Männern zu kämpfen, für die der Tod keinen Schrecken hätte, 
und nicht den Mut der Verzweiflung auf die Probe zu stellen, der nicht nur für 
jene, sondern auch für ihre Gegner noch verhängnisvoll werden könne. „Der
	        
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