Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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Faßten sie diesen Gedanken, nachdem sie zusammen geratschlagt, 
Besser erst werd' ihr Geschick, wenn sie mit geheimer Bemühung 
Einen verborgenen Gang tief unter der Erde gegraben, 
Durch den ihnen vergönnt, aus hartem Gefängnis zu fliehen. 
Dies, so stehet es fest, ward baldigst also vollendet. 
Gegenwärtig war stets ja die Hilfe des gnädigen Christus. 
Denn als, wie man beschlossen, der Graben mit Vorsicht gefertigt 
Dastand, nahte die Nacht, der neuen Freiheit willkommen, 
In der, während der Schlaf in der Menschen Glieder sich einschlich, 
Nur mit zweien Gefährten die gottergebene Kön'gin 
Durch ihr Fliehen entkam den sämtlichen Listen der Wächter, 
Und bei nächtlicher Zeit nur solch eine Strecke des Weges 
Hinter sich brachte, so viel mit den zarten Füßen ihr möglich. 
Doch als bald mit dem Weichen des nächtlichen Dunkels der finstre 
Nebel verschwand und der Pol von der Sonne Strahl sich gelichtet, 
Barg sie mit gutem Bedacht sich in heimlich gelegenen Höhlen, 
Oder sie schweift' in den Wäldern, versteckte sich endlich in Furchen 
Hinter den reifenden Ahren des hochaufwachsenden Segens, 
Bis von neuem die Nacht, in gewohntes Dunkel gekleidet, 
Kam und wieder die Erde mit dichter Verfinsterung deckte. 
Dann erst eilte sie frisch, den begonnenen Weg zu beenden. 
Weiter nun aber die Wächter, sobald sie jene nicht fanden, 
Meldeten schreckenerfüllt das schlimme Begebnis dem Grafen, 
Welchem die Sorge vertraut für die sichere Verwahrung der Herrin. 
Dieser, im Herzen getroffen vom Schrecken der schwersten Befürchtung, 
Machte mit vielen Gefährten sich auf, sie wieder zu suchen. 
Und als dies nicht gelang und nimmer erforschen er konnte, 
Wo die gepriesene Frau wohl hingelenket die Schritte, 
Bracht' er an Berengaren, den König, mit Zagen die Kunde. 
Dieser nun schickt', urplötzlich unmäßigem Toben verfallend, 
Rings in die Runde sofort die Mannen, soviel er ernährte, 
Ihnen gebietend, sie sollten bei keinem Plätzchen vorbeigehn, 
Vielmehr jeden Versteck durchsuchen mit größester Umsicht, 
Ob sich in einem vielleicht die Königin habe verborgen. 
Selber mit einer Partie der tapferen Scharen dann folgt' er, 
Grad' als wollt' im Gefecht er die grimmigsten Feinde besiegen, 
Und im stürmischen Laufe durcheilt' er das nämliche Kornfeld, 
Wo sich gerade verbarg in krummer Furche die Herrin, 
Sie, die eben er suchte, gedeckt von den Schwingen der Ceres. 
Denn wiewohl er das ganze Gefilde hinab und hinauflief, 
Dort wo geborgen sie lag, von schwerer Befürchtung belastet, 
Und obgleich er versuchte, die rings aufstarrenden Halme 
Mit weitreichendem Speer aus allen Kräften zu trennen, 
Dennoch fand er sie nicht, die Christi Gnade beschirmte. 
Doch als heim er gekehret, beschämt und herzlich ermüdet, 
Siehe, da naht' Adelhardus, der hochehrwürdige Bischof, 
Führend, die Brust voll Frieden, hinein die teuere Herrin 
Hinter der eigenen Stadt ganz sichere Mauerumwallung.
	        
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