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Stufen bist Du emporgestiegen: durch List hast Du, was doch dem Mönchsgelübde
ganz zuwider ist, Geld Dir erworben, durch Geld die Gunst der Menge und durch
ihre Gunst die Gewalt der Waffen. Mit Gewalt der Waffen bist Du dann dem
Sitz des Friedens genaht und hast den Frieden selber von seinem Stuhle ver-
jagt, indem Du die Untergebenen gegen ihre Vorgesetzten bewaffnetest, indem Du,
der Du nicht berufen bist, unsere von Gott berufenen Bischöfe zu verachten
lehrtest, indem Du den Priestern ihr Amt entrissen und es in die Hände der
Laien gegeben hast, daß sie diejenigen absetzen oder verdammen, welche sie selber
von der Hand des Herrn durch die Weihe der Bischöfe zur Unterweisung erhalten
hatten. Mich auch, der ich, wenngleich unwürdig, doch unter den Gesalbten des
Herrn zur Herrschaft gekrönt bin, hast Du angerührt, da doch die Uberlieferung
der heiligen Väter lehrt, daß solche nur von Gott zu richten sind und um keines
Fehltritts willen entsetzt werden dürfen, wir wären denn, was ferne von uns sei,
vom rechten Glauben abgewichen. Denn auch Julian, den Abtrünnigen1), maßte
die Weisheit der heiligen Väter nicht sich an zu richten und abzusetzen, sondern
überließ ihn allein dem Gerichte Gottes. Er selbst, der wahre Papst, Sankt
Peter, ruft: Fürchtet Gott, ehret den König. Du aber, weil Du Gott nicht
fürchtest, entehrst auch mich, seinen Gesalbten. Darum hat auch der heilige Paulus,
da wo er des Engels vom Himmel nicht verschonte, wenn er anders predigen
würde, auch Dich nicht ausgenommen, der Du auf Erden anders lehrest. Denn er
spricht: Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium
predigen, anders denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht2). Du also,
verdammt durch diesen Fluch und durch aller unserer Bischöfe und unseren eigenen
Spruch, steig herab, verlaß den angemaßten Stuhl Petri! Ein anderer besteige
den apostolischen Thron, der nicht Gewalt hinter frommen Gebärden verstecke,
sondern die reine Lehre Petri verkünde. Denn ich, Heinrich, von Gottes Gnaden
König, mit allen meinen Bischöfen, spreche zu Dir: „Steig herab, steig herab!“
68. Als dieser Briefs) dem Herrn Papste, da er gerade in der Lateranensischen
Kirche der heiligen Synode") vorsaß, überbracht und öffentlich vor der Synode
verlesen wurde, da entstand in der Kirche ein solcher Aufruhr, daß der Botschafter
Heinrichs gliedweise zerrissen wäre und ein jämmerliches Ende genommen haben
würde, wenn er nicht zu den Füßen des apostolischen Vaters Schutz gefunden
hätte. Am folgenden Tage aber erklärte der Herr Papst vor derselben Synode,
wie häufig und mit welcher Sanftmut er den König wegen seiner großen Ver-
brechen ermahnt, mit welcher Milde er ihn gebeten und kraft seines apostolischen
Amtes von ihm gefordert habe, daß er die Bischöfe aus der Haft entlasse, und
welche Bitterkeit des Hochmutes ihm für seine väterliche Süßigkeit zuteil ge-
worden sei. Als aber darauf nun alle riefen, eine solche Schmach dürfe nicht un-
gestraft bleiben, da verdammte er mit aller Anwesenden Rat und Zustimmung
Heinrich durch den Spruch des Sendgerichts, sprach ihm den Königsnamen und die
königliche Würde ab und traf ihn mit dem Schwerte des Bannfluches.
#) Der bekannte, außerordentlich tüchtige römische Kaiser Julian (361—363), der das
Heidentum wiederherzustellen suchte.
:) Galater 1, 8.
:2) Entweder den hierher gesetzten Brief, oder die mildere Fassung (siehe S. 84, An-
merkung 2).
4) Die Synode fand am 22. Februar 1076 im Lateran, der damaligen Residenz des
Papstes, statt.