Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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vorwärts, oberhalb Petit Torcy. Der heftige Widerstand des Feindes fing all- 
mählich an nachzulassen, was wir an den aufgelösten Bataillonen erkennen konnten, 
die eiligst aus den Wäldern und Dörfern zurückliefen. Die Kavallerie suchte einige 
Bataillone unseres V. Korps anzugreifen, die vortreffliche Haltung bewahrten; die 
Kavallerie jagte durch die Bataillons-Intervallen durch, kehrte dann um und auf 
demselben Weg zurück, was sich dreimal von verschiedenen Regimentern wieder- 
holte, so daß das Feld mit Leichen und Pferden besät war, was wir alles von 
unserem Standpunkte genau mit ansehen konnten. Ich habe die Nummer dieses 
braven Regimentes noch nicht erfahren können. 
Da sich der Rückzug des Feindes auf vielen Stellen in Flucht auflöste und 
alles, Infanterie, Kavallerie und Artillerie, in die Stadt und nächste Umgebungen 
sich zusammendrängte, aber noch immer keine Andeutung sich zeigte, daß der Feind 
sich durch Kapitulation aus dieser verzweifelten Lage zu ziehen beabsichtigte, so 
blieb nichts übrig, als durch die genannte Batterie die Stadt bombardieren zu 
lassen; da es nach 20 Minuten ungefähr an mehreren Stellen bereits brannte, 
was mit den vielen brennenden Dörfern in dem ganzen Schlachtkreise einen er- 
schütternden Eindruck machte — so ließ ich das Feuer schweigen und sendete den 
Oberstleutnant von Bronsart vom Generalstabe als Parlamentär mit weißer Fahne 
ab, der Armee und Festung die Kapitulation antragend. Ihm begegnete bereits 
ein bayerischer Offizier, der mir meldete, daß ein französischer Parlamentär mit 
weißer Fahne am Tore sich gemeldet habe. Der Oberstleutnant von Bronsart 
wurde eingelassen, und auf seine Frage nach dem General en chef wurde er un- 
erwartet vor den Kaiser geführt, der ihm sofort einen Brief an mich übergeben 
wollte. Da der Kaiser fragte, was für Aufträge er habe, und zur Antwort 
erhielt: „Armee und Festung zur Übergabe aufzufordern,“ erwiderte er, daß er sich 
dieserhalb an den General von Wimpffen zu wenden habe, der für den blessierten 
Mac Mahon soeben das Kommando übernommen habe, und daß er nunmehr 
seinen Generaladjutanten Reille mit dem Briefe an mich absenden werde. Es 
war 7 Uhr, als Reille und Bronsart zu mir kamen; letzterer kam etwas voraus, 
und durch ihn erfuhren wir erst mit Bestimmtheit, daß der Kaiser anwesend sei. 
Du kannst Dir den Eindruck denken, den es auf mich vor allem und auf alle 
machte! Reille sprang vom Pferde und übergab mir den Brief seines Kaisers, 
hinzufügend, daß er sonst keine Aufträge hätte. Noch ehe ich den Brief öffnete, 
sagte ich ihm: „Aber ich verlange als erste Bedingung, daß die Armee die Waffen 
niederlege.“ Der Brief fängt so an: „N'ayant pas pu mourir à la téte de mes 
troupes, je dépose mon 6pée à Votre Majesté“, alles weitere mir anheim- 
stellend#). 
Meine Antwort1) war, daß ich die Art unserer Begegnung beklage und um 
Sendung eines Bevollmächtigten ersuche, mit dem die Kapitulation abzuschließen 
sei. Nachdem ich dem General Reille den Brief übergeben hatte, sprach ich einige 
Worte mit ihm als altem Bekannten, und so endigte dieser Akt. — Ich bevoll- 
mächtigte Moltke zum Unterhändler und gab Bismarck auf, zurückzubleiben, falls 
politische Fragen zur Sprache kämen, ritt dann zu meinem Wagen und fuhr 
hierher, auf der Straße überall von stürmischen Hurras der heranziehenden Trains 
begrüßt, die überall die Volkshymne anstimmten. Es war ergreifend. Alles hatte 
Lichter angezündet, so daß man zeitweise in einer improvisierten Illumination 
1) Siehe Nr. 57. Quelle 1 und 2.
	        
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