Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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bar im voraus zu verdammen. Sie macht sich dadurch selbst den Frieden un— 
möglich, auf den sie durch eine ruhige und dem Ernst der Situation Rechnung 
tragende Sprache das Volk vorbereiten müßte, wenn wir annehmen sollten, daß 
sie ehrliche Friedensverhandlungen mit uns beabsichtige. Die Zumutung, daß wir 
jetzt einen Waffenstillstand ohne jede Sicherheit für unsere Friedensbedingungen 
abschließen sollten, könnte nur dann ernsthaft gemeint sein, wenn man bei uns 
Mangel an militärischem und politischem Urteil oder Gleichgültigkeit gegen die 
Interessen Deutschlands voraussetzt. 
Daneben besteht ein wesentliches Hindernis für die Franzosen, die Notwendig- 
keit des Friedens mit Deutschland ernstlich ins Auge zu fassen, in der von den 
jetzigen Machthabern genährten Hoffnung auf eine diplomatische oder materielle 
Intervention der neutralen Mächte zugunsten Frankreichs. Kommt die französische 
Nation zur Überzeugung, daß, wie sie allein den Krieg willkürlich heraufbeschworen 
hat, und wie Deutschland ihn allein hat auskämpfen müssen, so sie auch mit 
Deutschland allein ihre Rechnung abschließen muß: so wird sie dem jetzt sicher 
nutzlosen Widerstande bald ein Ende machen. Es ist die Grausamkeit der Neu- 
tralen gegen die französische Nation, wenn sie zulassen, daß die Pariser Regierung 
im Volke unerfüllbare Hoffnungen auf Intervention nähre und dadurch den 
Kampf verlängere. 
Wir sind fern von jeder Neigung zur Einmischung in die inneren Verhältnisse 
Frankreichs. Was für eine Regierung sich die französische Nation geben will, ist 
für uns gleichgültig. Formell ist die Regierung des Kaisers Napoleon bisher die 
allein von uns anerkannte. Unsere Friedensbedingungen, mit welcher zur Sache 
legitimierten Regierung wir dieselben auch mögen zu verhandeln haben, sind ganz 
unabhängig von der Frage, wie und von wem die französische Nation regiert wird; 
sie sind uns durch die Natur der Dinge und das Gesetz der Notwehr gegen ein 
gewalttätiges und friedloses Nachbarvolk vorgeschrieben. Die einmütige Stimme 
der deutschen Regierungen und des deutschen Volkes verlangt, daß Deutschland 
gegen die Bedrohungen und Vergewaltigungen, welche von allen französischen 
Regierungen seit Jahrhunderten gegen uns geübt wurden, durch bessere Grenzen 
als bisher geschützt werde. Solange Frankreich im Besitz von Straßburg und 
Metz bleibt, ist seine Offensive strategisch stärker als unsere Defensive bezüglich des 
ganzen Südens und des linksrheinischen Norden von Deutschland. Straßburg ist 
im Besitze Frankreichs eine stets offene Ausfallspforte gegen Süddeutschland. In 
deutschem Besitze gewinnen Straßburg und Metz dagegen einen defensiven 
Charakter; wir sind in mehr als 20 Kriegen niemals die Angreifer gegen Frank- 
reich gewesen, und wir haben von letzterem nichts zu begehren als unsere von 
ihm so oft gefährdete Sicherheit im eigenen Lande. Frankreich dagegen wird 
jeden jetzt zu schließenden Frieden nur als einen Waffenstillstand ansehen und uns, 
um Rache für seine jetzige Niederlage zu nehmen, ebenso händelsüchtig und ruchlos 
wie in diesem Jahre wiederum angreifen, sobald es sich durch eigene Kraft oder 
fremde Bündnisses stark genug dazu fühlt#!). 
1) Ausführlicher schreibt Bismarck in einer Note an die diplomatischen Vertreter bei 
den neutralen Mächten vom 13. September 1870 (Aegidi und Klauhold a. a. O. Bd. 11, 
Nr. 4105): „. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß wir uns infolge dieses Krieges 
auf einen baldigen neuen Angriff von Frankreich und nicht auf einen dauerhaften Frieden 
gefaßt machen müssen, und das ganz unabhängig von den Bedingungen, welche wir etwa 
an Frankreich stellen möchten. Es ist die Niederlage an sich, es ist unsere siegreiche Abwehr
	        
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