— 103 —
bar im voraus zu verdammen. Sie macht sich dadurch selbst den Frieden un—
möglich, auf den sie durch eine ruhige und dem Ernst der Situation Rechnung
tragende Sprache das Volk vorbereiten müßte, wenn wir annehmen sollten, daß
sie ehrliche Friedensverhandlungen mit uns beabsichtige. Die Zumutung, daß wir
jetzt einen Waffenstillstand ohne jede Sicherheit für unsere Friedensbedingungen
abschließen sollten, könnte nur dann ernsthaft gemeint sein, wenn man bei uns
Mangel an militärischem und politischem Urteil oder Gleichgültigkeit gegen die
Interessen Deutschlands voraussetzt.
Daneben besteht ein wesentliches Hindernis für die Franzosen, die Notwendig-
keit des Friedens mit Deutschland ernstlich ins Auge zu fassen, in der von den
jetzigen Machthabern genährten Hoffnung auf eine diplomatische oder materielle
Intervention der neutralen Mächte zugunsten Frankreichs. Kommt die französische
Nation zur Überzeugung, daß, wie sie allein den Krieg willkürlich heraufbeschworen
hat, und wie Deutschland ihn allein hat auskämpfen müssen, so sie auch mit
Deutschland allein ihre Rechnung abschließen muß: so wird sie dem jetzt sicher
nutzlosen Widerstande bald ein Ende machen. Es ist die Grausamkeit der Neu-
tralen gegen die französische Nation, wenn sie zulassen, daß die Pariser Regierung
im Volke unerfüllbare Hoffnungen auf Intervention nähre und dadurch den
Kampf verlängere.
Wir sind fern von jeder Neigung zur Einmischung in die inneren Verhältnisse
Frankreichs. Was für eine Regierung sich die französische Nation geben will, ist
für uns gleichgültig. Formell ist die Regierung des Kaisers Napoleon bisher die
allein von uns anerkannte. Unsere Friedensbedingungen, mit welcher zur Sache
legitimierten Regierung wir dieselben auch mögen zu verhandeln haben, sind ganz
unabhängig von der Frage, wie und von wem die französische Nation regiert wird;
sie sind uns durch die Natur der Dinge und das Gesetz der Notwehr gegen ein
gewalttätiges und friedloses Nachbarvolk vorgeschrieben. Die einmütige Stimme
der deutschen Regierungen und des deutschen Volkes verlangt, daß Deutschland
gegen die Bedrohungen und Vergewaltigungen, welche von allen französischen
Regierungen seit Jahrhunderten gegen uns geübt wurden, durch bessere Grenzen
als bisher geschützt werde. Solange Frankreich im Besitz von Straßburg und
Metz bleibt, ist seine Offensive strategisch stärker als unsere Defensive bezüglich des
ganzen Südens und des linksrheinischen Norden von Deutschland. Straßburg ist
im Besitze Frankreichs eine stets offene Ausfallspforte gegen Süddeutschland. In
deutschem Besitze gewinnen Straßburg und Metz dagegen einen defensiven
Charakter; wir sind in mehr als 20 Kriegen niemals die Angreifer gegen Frank-
reich gewesen, und wir haben von letzterem nichts zu begehren als unsere von
ihm so oft gefährdete Sicherheit im eigenen Lande. Frankreich dagegen wird
jeden jetzt zu schließenden Frieden nur als einen Waffenstillstand ansehen und uns,
um Rache für seine jetzige Niederlage zu nehmen, ebenso händelsüchtig und ruchlos
wie in diesem Jahre wiederum angreifen, sobald es sich durch eigene Kraft oder
fremde Bündnisses stark genug dazu fühlt#!).
1) Ausführlicher schreibt Bismarck in einer Note an die diplomatischen Vertreter bei
den neutralen Mächten vom 13. September 1870 (Aegidi und Klauhold a. a. O. Bd. 11,
Nr. 4105): „. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß wir uns infolge dieses Krieges
auf einen baldigen neuen Angriff von Frankreich und nicht auf einen dauerhaften Frieden
gefaßt machen müssen, und das ganz unabhängig von den Bedingungen, welche wir etwa
an Frankreich stellen möchten. Es ist die Niederlage an sich, es ist unsere siegreiche Abwehr