Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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machen könne. Ich hatte diese Wendung ausdrücklich gewählt, um einen Druck 
auf die Abneigung meines hohen Herrn gegen den Kaisertitel auszuüben. 
Eine neue Schwierigkeit erhob Seine Majestät bei der Formulierung des 
Kaisertitels, indem er, wenn schon Kaiser, Kaiser von Deutschland heißen wollte. 
In dieser Phase haben der Kronprinz und der Großherzog von Baden mich, 
jeder in seiner Weise, unterstützt, wenn auch keiner von beiden der zornigen Ab- 
neigung des alten Herrn gegen den „Charakter-Major" offen widersprach. Der 
Kronprinz unterstützte mich durch passive Assistenz in Gegenwart seines Herrn 
Vaters und durch gelegentliche kurze Außerungen seiner Ansicht, die aber meine 
Gefechtsposition dem Könige gegenüber nicht stärkten, sondern eher eine verschärfte 
Reizbarkeit des hohen Herrn zur Folge hatten. Denn der König war noch leichter 
geneigt, dem Minister als seinem Herrn Sohne Konzessionen zu machen in 
gewissenhafter Erinnerung an Verfassungseid und Ministerverantwortlichkeit. 
Meinungen mit dem Kronprinzen faßte er von dem Standpunkt des pater fami- 
lias1) auf. 
In der Schlußberatung am 17. Januar 1871 lehnte er die Bezeichnung 
Deutscher Kaiser ab und erklärte, er wolle Kaiser von Deutschland oder gar nicht 
Kaiser sein. Ich hob hervor, wie die adjektivische Form Deutscher Kaiser und die 
genitivische Kaiser von Deutschland sprachlich und zeitlich verschieden seien. Man 
hätte Römischer Kaiser, nicht Kaiser von Rom gesagt; der Zar nenne sich nicht 
Kaiser von Rußland, sondern Russischer, auch „Gesamtrussischer“ Kaiser . . Ich 
machte ferner geltend, daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. 
auf den Talern Borussorum, nicht Borussiae rex2) erscheine, daß der Titel „Kaiser 
von Deutschland“ einen landesherrlichen Anspruch auf die nichtpreußischen Gebiete 
involviere, den die Fürsten zu bewilligen nicht geneigt wären; daß in dem Schreiben 
des Königs von Bayern in Anregung gebracht sei, daß die „Ausübung der 
Präsidialrechte mit Führung des Titels eines deutschen Kaisers verbunden werde'’), 
endlich, daß derselbe Titel auf Vorschlag des Bundesrats in die neue Fassung 
des Artikels 11 der Verfassung aufgenommen se 
Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren Abschluß; indessen 
konnte man sich doch für berechtigt halten, die Zeremonie der Kaiserproklamation 
anzuberaumen; aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutscher 
Kaiser, sondern von dem Kaiser von Deutschland dabei die Rede sei. 
Diese Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen vor der Feierlichkeit 
im Spiegelsaale den Großherzog von Baden aufzusuchen als den ersten der an- 
wesenden Fürsten, der voraussichtlich nach Verlesung der Proklamation das Wort 
nehmen würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu bezeichnen denke. 
Der Großherzog antwortete: „Als Kaiser von Deutschland, nach Befehl Sr. 
Mojestät.“ Unter den Argumenten, die ich dem Großherzog dafür geltend machte, 
daß das abschließende Hoch auf den Kaiser nicht in dieser Form ausgebracht werden 
könne, war das durchschlagendste meine Berufung auf die Tatsache, daß der 
künftige Text der Reichsverfassung bereits durch einen Beschluß des Reichstages 
in Berlin präjudiziert sei. Die in seinen konstitutionellen Gedankenkreis fallende 
Hinweisung auf den Reichstagsbeschluß bewog ihn, den König noch einmal auf- 
zusuchen. Die Unterredung der beiden Herren blieb mir unbekannt, und ich war 
1) Familienoberhaupt. 
¾ Der #r Preußen König“, nicht „Preußens König“". 
) Vgl
	        
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