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Demgemäß werden wir und unsere Nachfolger an der Krone Preußen fortan
den kaiserlichen Titel in unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen
Reiches führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein
werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segens-
reichen Zukunft entgegenzuführen.
Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in
deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den
Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft
seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem
deutschen Volke gegönnt sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermütigen
Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche
dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute An-
griffe Frankreichs gewähren.
Uns aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen,
allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen,
sondern an den Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung.
Gegeben Hauptquartier Versailles den 17. Januar 1871. Wilhelm.
D. Das erste Kaiserhoch.
Quelle: Aufzeichnung des Großherzogs von Baden.
Fundort: Ottokar Lorenz, Kaiser Wilhelm und die Begründung des Reichs 1866—1871. Jena 1902. S. 465.
Nun kam die Reihe an mich — ich trat zum Kaiser heran, verbeugte mich
und bat um die Erlaubnis, die Versammlung zu einem Hoch auf ihn einladen
zu dürfen. Nickend erteilte der Kaiser die Genehmigung, und ich rief so laut wie
möglich in die harrende, lautlose Versammlung: „Seine Kaiserliche und Königliche
Majestät — Kaiser Wilhelm, lebe hoch !“ was sechsfach wiederholt wurde. Darauf
reichte mir der Kaiser die Hand in äußerst herzlicher Weise und wandte sich dann
an den Kronprinzen, der von dem Akte so ergriffen war, daß er vor dem Vater
das Knie beugte und seine segnende Hand erbat. Der König erhob ihn mit sehr
inniger Umarmung und in tiefster Bewegung, welche sich allen Anwesenden sicht-
bar mitteilte. Dann begrüßte der Kaiser jeden einzelnen Fürsten und nahm die
Begrüßung der zahlreichen Versammlung dadurch entgegen, daß die Anwesenden
gruppenweise herantraten und eine Verbeugung machten. Nach diesem Be-
grüßungsakte ging der Kaiser zu den Fahnen und sprach mit den Trägern; dann
stieg er vom Hochtritt herab, sprach mit vielen Generalen und Standesherren und
ging unter den Klängen eines Festmarsches an der langen Reihe der Dekorierten
herab, mit vielen tapferen Kriegern freundliche Worte sprechend. Der Kaiser hatte
nun wieder seine sonstige Frische und kräftige Haltung gewonnen.