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Der Übergang zur Schutzzoll- und Sozialpolitik.
1878.
Quelle: Amtlich beeinflußte Darstellung der Provinzial-Korrespondenzt)
vom 14. und 21. September 1881.
Fundort: L. Hahn, Fürst Bismarck. Bd. 4. S. 199 und 200.
Als der Norddeutsche Bund und vollends das Deutsche Reich — wie man weiß
mit viel Mühe und Not — gegründet war, lag dem Fürsten Bismarck in erster Linie
der äußere und innere Ausbau des Reiches in seinen notwendigen Einrichtungen ob.
Erst nachdem das Notwendigste geschehen, drängte sich dem Reichskanzler mehr und
mehr die Aufgabe auf, das Reich auch in finanzieller Beziehung selbständig und un-
abhängig zu machen und deshalb sich nach solchen wirtschaftlichen Hilfsquellen um-
zusehen, welche die Erreichung dieses großen nationalen Zieles möglich machen
könnten ... Die Erhaltung, Förderung und Vermehrung der produktiven Kräfte des
Landes, welche vornehmlich in der Landwirtschaft und Industrie zu suchen sind,
wurde das weitere Ziel, um dauernd eine Hebung der gesamten wirtschaftlichen
Kräfte und so eine innere Gesundung des Reiches für die Zukunft vorzubereiten.
Die Wege, die der Kanzler zu diesem Ziele einschlug, waren freilich von denen
verschieden, welche die wirtschaftlich maßgebenden Persönlichkeiten und Parteien
im Reiche 2) bisher empfohlen hatten
Den Glauben an die Unfehlbarkeit jener an sich bestrickenden und einfachen
Lehre des Freihandels und des Gehenlassenss), deren dauernde praktische An-
wendung Deutschland den großen Nachbarvölkern gegenüber wirtschaftlich in ein
abhängiges, fast tributpflichtiges Verhältnis gebracht hätte, hat Fürst Bismarck
überwunden und hiermit den Grund gelegt zu einer wirklichen nationalen Finanz-
und Wirtschaftspolitik, die sich nicht von fremden Grundsätzen, sondern von den
ureigenen Bedürfnissen des Landes leiten läßt.
Eine neue Reihe von Tatsachen kam hinzu, um die Erwägungen des Kanzlers
zugleich nach einer anderen Richtung hin zu lenken und denselben eine erhöhte
Wichtigkeit zu geben.
Die erschütternden Ereignisse des Jahres 1878 hatten zunächst Beschränkungen
eines Teiles der Staatsbürger zur Folge"). Aber der Kanzler und die verbündeten
1) Die Provinzial-Korrespondenz war in den 60er, 70er und 80er Jahren das
Organ der preußischen Regierung, das sie dazu benutzte, ihre Anschauungen den kleineren
Blättern zugänglich zu machen. Sie stand unter Leitung des Geheimrats Hahn, des-
selben, der auch die hier vielfach benutzte Sammlung von Bismarcks Reden, Staats-
schriften .., sowie das Kaiser Wilhelms Gedenkbuch herausgegeben hat.
:) Bismarcks Ratgeber in wirtschaftlichen Dingen war bisher der Präsident des
Reichskanzleramtes, der Minister Delbrück, gewesen. Dieser hatte schon im Jahre 1876
den Abschied erbeten und erhalten. Im Reichstage hatte sich Bismarck bislang auf die
Liberalen gestützt; jetzt brach er mit diesen und trat in Verbindung mit den rechts-
stehenden Parteigruppen und dem Zentrum.
2) Bislang hatte in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung der unbeschränkte Indi-
vidualismus geherrscht. Entsprechend dem allgemein geltenden Grundsatz elaisser faire
— laisser aller? war dem Staate keinerlei Eingriffe in das Wirtschaftsleben und die soziale
Stellung und Betätigung der Einzelperson gestattet; höchstens hatte man ihn in der Rolle
des Aufsehers geduldet. Den großen Umschwung, der jetzt erfolgte, zeigten der Über-
gang zum Schutzzoll und die einsetzende Sozialgesetzgebung.
4) Gemeint ist das Sozialistengesetz, pa von 1878—1890 galt, und dessen erster
Paragraph lautete: Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kom-