Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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samen Feinde, derselben, welche den Bund der drei Kaiser nicht verdauen 
konnten!). Du erinnerst Dich, daß wir mehr als einmal mit Dir darüber ge- 
sprochen haben, und wie glücklich ich war, mich zu überzeugen, daß unsere Über- 
zeugungen darüber die gleichen waren. Ich verstehe vollkommen, daß Du darauf 
hältst, Deine guten Beziehungen mit Osterreich aufrecht zu erhalten; aber ich ver- 
stehe nicht, welches Interesse Deutschland haben könnte, die Rußlands zu opfern. 
— Ist es eines wirklichen Staatsmannes würdig, eine persönliche Verstimmung in 
die Wagschale?) zu werfen, wenn es sich um das Interesse zweier großen Länder 
handelt, die geschaffen sind, miteinander in gutem Einvernehmen zu leben, und 
von denen der eine dem anderen im Jahre 1870 einen Dienst geleistet hat, den 
Du nach Deinen eigenen Worten niemals vergessen zu wollen erklärtests). Ich 
würde mir nicht erlaubt haben, Dich daran zu erinnern; aber die Umstände werden 
zu ernst, als daß ich Dir die Befürchtungen verhehlen könnte, die mich beschäftigen, 
und deren Folgen unheilvoll für unsere beiden Länder werden könnten. Gott 
schütze uns davor und berate Dich! 
74. 
Die Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses. 
1879. 
Quelle: Rede Bismarcks im Reichstage vom 6. Februar 1888. 
Fundort: L. Hahn, Fürst Bismarck. Bd. 5. S. 521 und 522. 
Während des Kongresses, kann ich wohl sagen, habe ich meine Rolle, soweit 
ich es irgend konnte, ohne Landesinteressen und befreundete Interessen zu ver- 
letzen, ungefähr so aufgefaßt, als wenn ich der vierte russische Vevollmächtigte ge- 
wesen wäre auf diesem Kongreß; ja, ich kann fast sagen, der dritte; denn den 
Fürsten Gortschakow kann ich als Bevollmächtigten der damaligen russischen Politik, 
wie sie durch den wirklichen Vertreter Grafen Schuwalow vertreten war, kaum 
annehmen. Es ist während der ganzen Kongreßverhandlungen kein russischer 
Wunsch zu meiner Kenntnis gekommen, den ich nicht befürwortet, ja, den ich nicht 
durchgesetzt hätte. Ich bin infolge des Vertrauens, das mir der leider verstorbene 
Lord Beaconsfield5) schenkte, in den schwierigsten, kritischsten Momenten des Kon- 
gresses mitten in der Nacht an dessen Krankenbett erschienen und habe in den 
nationale Kommission daran, die Grenzen usw. in Gemäßheit des Berliner Vertrages fest- 
zulegen. Der russische Reichskanzler, der Fürst Gortschakow, verlangte nun, daß der 
deutsche Vertreter in allen Fragen ohne weiteres auf die russische Seite trete, und ging 
nicht einmal auf Bismarcks Bitte ein, die russischen Wünsche jeweils vorher vertraulich 
bekannt zu geben. Als Deutschland nach Recht und Gewissen sich in solchen Fällen ent- 
schied und für Osterreich gegen Rußland stimmte, erfolgte der Beschwerdebrief. 
1) Gemeint ist das Bündnis zwischen Deutschland, Osterreich und Rußland, das von 
1872—1878 bestand. 
2) Wahrscheinlich ist hier auf die gegenseitige Abneigung angespiell, die zwischen Bis- 
marck und Gortschakow bestand. 
2) Am 27. Februar 1871 schrieb Kaiser Wilhelm an den Zaren: „Preußen wird nie 
vergessen, daß es Ihnen zu danken hat, wenn der Krieg nicht die äußersten Dimensionen 
ohhennen hat. Möge Gott Sie dafür segnen! Für immer Ihr dankbarer Freund 
ilhelm.“ 
4) Graf Schuwalow war russischer Botschafter in London; er war mit Bismarck be- 
reundet. 
5) Der leitende englische Minister.
	        
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