Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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Vergleich derselben mit der eigenen materiellen Behaglichkeit und Sorgenfreiheit, 
wie die eingehende Beschäftigung mit den sozialen Fragen der Gegenwart machten 
für seinen durch und durch gerechten Sinn die Notwendigkeit sozialer Formen zu 
einem unanfechtbaren Axiom und zu einer persönlichen Lieblingsvorstellung. Ein 
Aufenthalt in England pflegt seine Überzeugung von dem hohen Wert einer starken 
Zentralgewalt zu stärken, während ein solcher in Rußland ihn eher die Selbst- 
verwaltung schätzen lehrt. Alle Reisen aber in diesen Ländern wie in Frankreich 
und Italien vermehren sicher sein deutsches Nationalgefühl, welches stets leicht 
erregbar in ihm gewesen ist. Das freudige Genießen der deutschen Dichtung aller 
Perioden von Beowulf bis zu Felix Dahn weckte seinen Enthusiasmus für deutsches 
Leben und Empfinden aller Zeiten, wie an der andächtigen Aufnahme der deutschen 
Geschichte sich seine Begeisterung für deutsche Taten und Helden entzündete, von 
Karl dem Großen und seinen Paladinen bis zu den Heroengestalten des eigenen 
Vaters und Großvaters .. Der Schwung, den seine erregbare Natur durch 
solches Bewundern erhielt, wurde eine neue Quelle der Kraft und der Erhebung. 
Der Trieb zur Nacheiferung entwickelte sich daraus bis zu dem tief empfundenen 
Bedauern, die letzten hohen Triumphe des Vaterlandes nur als jubelndes Kind 
statt als mitwirkender Mann erlebt zu haben, und bis zu der vom Ubelwollen so 
arg mißdeuteten Sehnsucht, an gleich großen Ereignissen teilnehmen zu dürfen 
Daß aber der Phantasie und der Leidenschaft kein ungebührlicher Einfluß auf 
das Handeln zufalle, dafür sorgt der überlegende regelnde Verstand, der in der 
eigentümlichen Mischung seines Wesens ein so bedeutendes Ingredienz bildet. 
Zorn und Haß so gut wie Liebe und Bewunderung werden stets seine Seele 
erwärmen zu energischem Vorgehen, schwerlich sie je erhitzen zu tollkühnem 
Wagen. Klugheit und Gerechtigkeit sind für ihn nicht bloß theoretische Tugenden, 
sondern seiner ganzen Natur entsprechende, sein Streben und Handeln be- 
stimmende Eigenschaften. Seine bekannte Kampagne gegen die seinem in allen 
Genüssen maßvollen Wesen so antipathischen und seiner ganzen Lebensauffassung 
so widerstrebenden Spielpassion der vornehmen jungen Welt, welche vor seinen 
Augen blühende Existenzen vernichtet und dadurch seine tiefste Entrüstung hervor- 
gerufen hatte, konnte erfolgreich nur sein, weil sie in weiser Mäßigung in den 
seiner damaligen Stellung als Regimentskommandeur entsprechenden Schranken 
geführt wurde. Gerade diese kluge Beschränkung trug ihm auch die besonders 
freudig empfundene Genugtuung des rückhaltlosen Beifalls des sonst so streng 
kritisierenden Vaters ein. 
Den Kampf gegen die Leidenschaft, den er hierbei für andere unternahm, hat 
er mit unerbittlicher Strenge in sich selbst geführt und das Maßhalten sich zum 
Lebensprinzip gemacht. Selbst seine Familie ist für ihn wohl die unentbehrliche 
Basis seines Lebens; das Zusammensein mit Frau und Kindern ist ihm unabweis- 
bares Bedürfnis; ihre Zuneigung erhellt sein Leben, und die Sorge um sie er- 
wärmt sein Herz; aber auch diese Gefühle sollen seine Kraft nicht verzehren, 
sondern mehren. Nur ein Gefühl beherrscht sein ganzes Leben und Streben, 
dominiert alle Bedenken und Reflexionen, treibt unwiderstehlich zur Anspannung 
aller Kräfte und wenn nötig, zum kühnsten Wagen. Das ist das Pflichtge fühl, 
stets die stärkste und wirksamste Triebfeder in allen Gliedern seiner Rasse. In 
diesem Gliede, von dem wir reden, ist es immer stark gewesen und hat, wo irgend- 
möglich, den Verzicht auf alle Prärogative der Stellung und den Erwerb von 
Ehre und Stellung durch eigene Anstrengung als selbstverständlich erscheinen
	        
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