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Mannes, in dem Gott der Herr das Werkzeug geschaffen, den unsterblichen Ge-
danken von Deutschlands Einheit und Größe zu verwirklichen.
Nicht ziemt es in diesem Augenblick, alle Taten, die der große Entschlafene
vollbracht, alle Sorgen, die er für Kaiser und Reich getragen, alle Erfolge, die er
errungen, aufzuzählen. Sie sind zu gewaltig und mannigfaltig, und nur die Ge-
schichte kann und wird sie alle in ihre eherne Tafel eingraben.
Mich aber drängt es, vor der Welt der einmütigen Trauer und der dank-
baren Bewunderung Ausdruck zu geben, von der die ganze Nation heute erfüllt
ist, und im Namen der Nation das Gelübde abzulegen, das, was er, der große
Kanzler, unter Kaiser Wilhelm dem Großen geschaffen hat, zu erhalten und aus-
zubauen und, wenn es not tut, mit Gut und Blut zu verteidigen. Dazu helfe uns
Gott der Herr . . ... Wilhelm I. R.
86.
Der Fortgang der Sozialpolitik.
Quelle: Erlaß Kaiser Wilhelms II. an den Handelsminister
vom 4. Februar 1890.
Fundort: L. Hahn, Fürst Bismarck. Bd. 5. S. 639.
Bei meinem Regierungsantritt habe ich meinen Entschlußt) kundgegeben,
die fernere Entwicklung unserer Gesetzgebung in der gleichen Richtung zu fördern,
in der mein in Gott ruhender Großvater sich der Fürsorge für den wirtschaftlich
schwächeren Teil des Volkes im Geiste christlicher Sittenlehre angenommen hat.
So wertvoll und erfolgreich die durch die Gesetzgebung und Verwaltung zur
Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes bisher getroffenen Maßnahmen) sind,
so erfüllen diese doch nicht die ganze mir gestellte Aufgabe.
Neben dem weiteren Ausbau der Arbeiter-Versicherungsgesetzgebung sind die
bestehenden Vorschriften der Gewerbeordnung über die Verhältnisse der Fabrik-
arbeiter einer Prüfung zu unterziehen, um den auf diesem Gebiete laut ge-
wordenen Klagen und Wünschen, soweit sie begründet sind, gerecht zu werden.
Diese Prüfung hat davon auszugehen, daß es eine der Aufgaben der Staats-
gewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, daß die Er-
haltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Be-
dürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt
bleiben.
Für die Pflege des Friedens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind
gesetzliche Bestimmungen über die Formen in Aussicht zu nehmen, in denen die
Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung gemein-
samer Angelegenheiten beteiligt und zur Wahrnehmung ihrer Interessen bei Ver-
handlung mit den Arbeitgebern und mit den Organen meiner Regierung befähigt
werden. Durch eine solche Einrichtung ist den Arbeitern der freie und friedliche
Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden zu ermöglichen und den Staatsbehörden
Gelegenheit zu geben, sich über die Verhältnisse der Arbeiter fortlaufend zu unter-
richten und mit diesen Fühlung zu behalten. *
1) Vgl. Nr. 82.7 »
2)Am22.Juni1889hattedasGesetzüberdieJnvaliditäts-UndAltersversicherung
Gesetzeskraft erlangt; die dritte der drei großen sozialpolitischen Einrichtungen war damit
geschaffen.