Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, werden Sie ersehen, wie 
meine Regierung und vor allem mein Kanzler bis zum letzten Augenblick bemüht 
waren, das Außerste abzuwenden. In aufgedrungener Notwehr, mit reinem Ge- 
wissen und reiner Hand ergreifen wir das Schwert. 
An die Völker und Stämme des Deutschen Reiches ergeht mein Ruf, mit ge- 
samter Kraft, in brüderlichem Zusammenstehen mit unseren Bundesgenossen, zu 
verteidigen, was wir in friedlicher Arbeit geschaffen haben. Nach dem Beispiel 
unserer Väter fest und getreu, ernst und ritterlich, demütig vor Gott und kampfes- 
froh vor dem Feind, so vertrauen wir der ewigen Allmacht, die unsere Abwehr 
stärken und zu gutem Ende lenken wolle! 
Auf Sie, geehrte Herren, blickt heute, um seine Fürsten und Führer geschart, 
das ganze deutsche Volk. Fassen Sie Ihre Entschlüsse einmütig und schnell — das 
ist mein inniger Wunsch. 
Nach Verlesung der Thronrede, die mit lautem und sich immer wiederholendem 
Beifall, stürmischen Hochrufen und großer Begeisterung aufsgenommen wurde, er- 
griff der Kaiser nochmals das Wort und sagte: Sie haben gelesen, meine Herren, 
was ich zu meinem Volke vom Balkon des Schlosses aus gesagt habe. 
Ich wiederhole: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche, und 
zum Zeugen dessen, daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne 
Standes= und Konfessionsunterschiede zusammenzuhalten mit mir durch dick und 
dünn, durch Not und Tod, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vor- 
zutreten und mir dies in die Hand zu geloben. 
Hierauf traten die einzelnen Parteiführer an den kaiserlichen Herrn heran und 
gelobten ihm durch Handschlag ihre Treue. Unter begeisterten Ovationen verließ 
der Kaiser sodann den Weißen Saal. 
2. Quelle: Aufruf an das deutsche Volk. 
Fundort: Kriegsdepeschen. Bd. 1. S. 33. 
Seit der Reichsgründung ist es durch 43 Jahre mein und meiner Vorfahren heißes 
Bemühen gewesen, der Welt den Frieden zu erhalten und im Frieden unsere kraft- 
volle Entwicklung zu fördern. Aber die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. 
Alle offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West, von jenseit der 
See haben wir bisher ertragen im Bewußtsein unserer Verantwortung und Kraft. 
Nun aber will man uns demütigen. Man verlangt, daß wir mit verschränkten 
Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten; man will 
nicht dulden, daß wir in entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, 
der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und mit dessen Erniedrigung auch 
unsere Macht und Ehre verloren ist. 
So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der 
Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat 
am Vaterlande. 
Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich 
neu gründeten. Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. 
Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß. Und 
wir werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie 
ward Deutschland überwunden, wenn es einig war. 
Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war! 
Berlin den 6. August 1914. Wilhelm.
	        
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