Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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115. 
Englands Schuld am Weltkrieg. 
Quelle: Reichstagsrede des Reichskanzlers am 2. Dezember 1914. 
Fundort: Kriegsdepeschen. Bd. 1. S. 261—264. 
Wenige Augenblicke, nachdem die Sitzung vom 4. August zu Ende gegangen 
war, erschien der großbritannische Botschafter, um uns ein Ultimatum Englands 
und bei dessen sofortiger Ablehnung die Kriegserklärung zu überbringen. Da ich 
mich damals zu dieser endgültigen Stellungnahme der britischen Regierung nicht 
außern konnte, will ich jetzt einige Ausführungen dazu machen. 
Die Verantwortung an diesem größten aller Kriege liegt für uns klar. (Sehr 
richtigl) Die äußere Verantwortung tragen die Männer in Rußland, die die ge- 
samte Mobilisierung der russischen Armee betrieben und durchgesetzt haben. (Zu- 
stimmung.) Die innere Verantwortung aber liegt bei der großbritannischen 
Regierung. (Erneute lebhafte Zustimmung.) Das Londoner Kabinett konnte den 
Krieg unmöglich machen, wenn es in Petersburg unzweideutig erklärte, England 
sei nicht gewillt, aus dem österreichisch-serbischen Konflikt einen kontinentalen Krieg 
der Mächte herauswachsen zu lassen. Eine solche Sprache hätte auch Frankreich ge- 
zwungen, Rußland energisch von allen Kriegsmaßregeln abzuhalten. (Zustimmung.) 
Dann aber gelangen unsere Vermittlungsaktionen zwischen Wien und Petersburg, 
und es gab keinen Krieg. England hat das nicht getan. England kannte das 
kriegslüsterne Treiben einer zum Teil nicht verantwortlichen, aber mächtigen 
Gruppe um den Zaren. (Zustimmung.) Es sah, wie das Rad ins Rollen kam; 
aber es fiel ihm nicht in die Speichen. (Lebhafte Zustimmung.) Trotz aller 
Friedensbeteuerungen gab London in Petersburg zu verstehen, England stehe 
auf Seite Frankreichs und damit auch Rußlands. Das zeigen klar und un- 
widerleglich die inzwischen erfolgten Publikationen der verschiedenen Kabinette, 
insonderheit das englische Blaubuch selbst, das die englische Regierung heraus- 
gegeben hat. Nun aber gab es in Petersburg kein Halten mehr. Wir besitzen 
darüber das gewiß unverdächtige Zeugnis des belgischen Geschäftsträgers in 
Petersburg. Er berichtete am 30. Juli an seine Regierung: „England gab an- 
fänglich zu verstehen, daß es sich nicht in einen Konflikt hineinziehen lassen wolle. 
Sir George Buchanant) sprach das offen aus. Heute aber ist man in Petersburg 
fest davon überzeugt, ja man hat sogar die Zusicherung, daß England Frankreich 
beistehen wird. Dieser Beistand fällt ganz außerordentlich ins Gewicht und hat 
nicht wenig dazu beigetragen, der Kriegspartei die Oberhand zu verschaffen. (Hört! 
ört! 
n5 . Bis in den Sommer hinein haben die englischen Staatmänner ihrem Parla- 
ment versichert: Kein Vertrag, keine Abmachung binde die schrankenlose Selbst- 
bestimmung Englands, wenn ein Krieg ausbräche. Frei könne England sich ent- 
scheiden, ob es an einem europäischen Kriege teilnehmen wolle oder nicht. Also 
war es keine Bündnispflicht, kein Zwang, es war auch keine Bedrohung des 
eigenen Landes, die die englischen Staatsmänner veranlaßte, den Krieg entstehen 
zu lassen und dann sofort selbst in ihn einzutreten. Dann bleibt nur noch eins 
übrig, daß das Londoner Kabinett diesen Weltkrieg, diesen ungeheuerlichen Welt- 
krieg kommen ließ, weil ihm die Gelegenheit gekommen schien, mit Hilfe seiner 
1) Der englische Botschafter in Petersburg.
	        
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