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Im Feld wie im Frieden beginnt er seine Arbeit unmittelbar nach dem
ersten Frühstück. Er steht im Sommer um 6 Uhr auf, im Winter eine Stunde
später. Das Arbeiten dauert bis gegen 11 Uhr. Darauf wird bei jedem Wetter
und zu allen Jahreszeiten ein ausgiebiger Spaziergang unternommen, jetzt im
Kriege, wie früher im Frieden. Ich sah ihn ein paarmal in sein gedecktes Auto-
mobil steigen und mit seinem Adjutanten aufs Land hinausfahren, um in irgend-
einem friedlichen Wald mehr oder weniger gebahnte Wege zu wandern. Fünf
Minuten vor 1 Uhr kommt er zurück, um sich für das Mittagessen fertig zu
machen, das Punkt 1 Uhr beginnt. Man könnte seine Uhr nach seiner äußerst
genauen Einteilung der Stunden des Tages stellen. Das Essen ist einfach; er
trinkt dazu gern ein Glas Moselwein.
Wenn er vom Mittagstisch aufsteht, geht er direkt in seine Zimmer hinauf,
um zu ruhen. Um 4 Uhr beginnt die Arbeit wieder und dauert bis einige
Minuten vor 8 Uhr. Im Frieden genießt er gegen 4 Uhr im Familienkreis
Kaffee mit Kuchen, ein sogenanntes Vesperbrot, worauf er Besuche empfängt und
je nachdem mit den Seinen ausgeht oder arbeitet. Er sieht immer, nicht zum
wenigsten im Felde, Gäste an seinem Tisch und hat ein großes Vergnügen daran,
sich mit ihnen zu unterhalten und selbst über die brennenden Tagesfragen zu
sprechen.
Punkt 8 Uhr wird die Abendmahlzeit eingenommen, und die Unterhaltung
beim Bier dauert bis gegen 11 Uhr. So geht es den einen Tag wie den andern,
ohne Störung. Wie der Krieg nicht vermocht hat, Hindenburgs Lebensweise zu
ändern, so haben auch des Krieges Härte und seine weltgeschichtlich bedeutungs-
vollen Ereignisse seine überlegene Geistesstärke nicht beunruhigen können. Er war
genau derselbe während der masurischen Tage Anfang Februar wie jetzt. Als im
Dezember alles für Scheffer und Litzmannt) bangte, da sie von den Russen östlich
von Lodz hoffnungslos eingeschlossen zu sein schienen, bewahrte Hindenburg seine
Gelassenheit und fragte, als eben die Unruhe am größten war, woher die prächtige
Torte gekommen sei, die auf dem Mittagstisch stand! Sie war von der Mutter
eines jungen Leutnants geschickt worden, und diese empfing dafür seinen be-
sonderen Dank. Die scheinbar eingeschlossenen Korps brachen denn auch mit jener
kalten Entschlossenheit durch, die der Feldherr sich berechtigt glaubte, von ihnen
zu erwarten, und sie machten obendrein 12000 Gefangene! Eine solche Ruhe ist
wohl zum großen Teil eine Gabe der Natur. Sie ist aber auch eine Folge der
Erziehung zum Tragen der schwersten Verantwortung, worin die deutschen Offi-
ziere von Anfang an geübt werden.
Hindenburg ist der Abgott der Soldaten; denn der Sieg ist an seinen Feld-
herrnstab gebunden. Die Soldaten werden durch seinen bloßen Namen zu den
allergrößten Anstrengungen angefeuert und gehen mit Begeisterung für ihn in den
Tod. Unser Held ist aber auch wie ein Vater für seine Truppen, und er kümmert
sich in jeder Weise um ihr Wohlergehen.
1) Gedacht ist hier an eine der schönsten Waffentaten des Feldzuges, wie der General-
stabsbericht vom 1. Dezember 1914 sich ausdrückt. Als nämlich die Generale Scheffer-
Boyadel und Litzmann versuchten, größere russische Truppenmassen zu umgehen, wurden
sie ihrerseits östlich von Lodz umzingelt; aber sie schlugen sich in der Nacht vom 24. auf
25. November 1914 in der Richtung auf Brzeiny durch den bereits gebildeten Ring durch
und brachten sogar noch 12000 Gefangene und 25 eroberte Kanonen mit.