— 220 —
127.
Die Eroberung Belgrads.
6.—9. Oktober 1915.
Quelle: Amtliche Darstellung des Großen Hauptgquartiers
vom 9. November 1915.
Fundort: Kriegsdaheim. Bd. 5. Anhang. S. 54 und 55.
Als sich in der zweiten Hälfte des Monats September der Aufmarsch der
verbündeten Heere auf dem nördlichen Donauufer vollzog, dachte man in Serbien
noch nicht an die von dort her drohende Gefahr. Der Feind hatte wohl Kenntnis
von Truppenausladungen; er rechnete aber nur, wie spätere Gefangenenaussagen
bestätigen, mit einer stärkeren Besetzung der Verteidigungsstellung der ungarischen
Donauseite. Wie konnte auch an eine Offensive der Verbündeten in einer ganz
neuen Richtung gedacht werden zu einer Zeit, in der die Entente Angriffe größeren
Stils auf allen Kriegsschauplätzen vorbereitete. So vereinigte Serbien seine Haupt-
kraft gegen den Erbfeind Bulgarien, dessen Haltung sich immer mehr der Entente
zu entfremden schien. Es galt für die Verbündeten, den Serben möglichst lange
in seinem Glauben zu belassen, um dann überraschend mit starker Kraft an ver-
schiedenen Stellen gleichzeitig serbischen Boden betreten zu können.
Welche Schwierigkeiten es macht, einen Fluß zu überwinden, dessen Breite
durchschnittlich 700 m und mehr beträgt, dessen Wellen bei der herbstlichen Kossava
denen der See gleichkommen und der zumeist von Höhen überragt ist, die einer
feindlichen Artillerie denkbar günstige Wirkungen ermöglichen, wird auch jedem
Fernstehenden klar sein. Hielten auch nicht die Hauptkräfte der Serben das süd-
liche Donauufer besetzt, so ergaben doch die angestellten Erkundungen, daß der
Feind ebenfalls hier auf der Hut war und die Nordgrenze seines Reiches mit
fortlaufenden Verteidigungsanlagen versehen hatte, zu deren Besetzung nicht un-
erhebliche Truppen und Artillerie bereit standen. Den Hauptstützpunkt der Ver-
teidigungsanlagen bildete die Festung Belgrad, jenes alte Bollwerk, das, seiner-
zeit von den Türken angelegt, der ruhmvolle Kriegsschauplatz Prinz Eugenscher
Truppen gewesen war. Hier sollten 200 Jahre später die Nachkommen jener sieg-
reichen Heere, wiederum zum Bunde vereint, sich ihrer Vorfahren würdig er-
weisen
An dieser Stelle verfügte der Feind zum Schutze seiner Hauptstadt über starke
Artillerie. Englische und französische Geschütze krönten gemeinsam mit serbischen
den Kalimegdan, jene der Hauptstadt vorgelegene, weithin sichtbare Zitadelle, und
mittlere und schwere Kaliber harrten auf den überragenden Höhen des Topcider
und Barnovo ihrer Ziele . Hier galt es, im schweren Artillerieduell erst seine
UÜberlegenheit zu beweisen. Noch war es nicht geglückt, die zum Teil gut ein-
gedeckten, schwer auffindbaren Geschütze zum Schweigen zu bringen, als bereits
die Zeit für den Ubergang gekommen war. Die gegen Sicht schützende Nacht
mußte hier helfend beistehen. Als der Morgen graute, lagen vier österreichisch-
ungarische Bataillone am Fuße der Belgrader Zitadelle. Notdürftig durch einen
Bahndamm gedeckt, mußten jene Tapferen in schwerem Kampfe 12 Stunden aus-
harren, bis die Nacht ersehnte Verstärkung brachte.
Deutsche waren unterdessen in fortlaufendem Ubersetzen auf die vom Feind
besetzte südwestlich Belgrad gelegene Große Zigeunerinsel gewesen. Hier lauerte in
dichtem Buschwerk ein gut bewaffneter, zäh sich verteidigender Gegner. Trotzdem