Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

— 40 — 
im allgemeinen die preußische Politik in Deutschland gewähren und nahm als 
Kaufpreis für diese Konzession die Unterstützung Preußens in europäischen Fragen 
entgegen; in Deutschland begnügte sich das Wiener Kabinett, nach Möglichkeit 
dafür zu sorgen, daß Preußen den ihm überlassenen Spielraum nur innerhalb 
gewisser Grenzen nutzbar mache. Zu diesem Behuf wurde insbesondere der 
Geschäftskreis des Bundes auf wenige und verhältnismäßig unwichtige Ange- 
legenheiten beschränkt, das Widerspruchsrecht und die Unabhängigkeit der einzelnen 
Regierungen aber mit Schonung gepflegt; Angelegenheiten, über die Osterreich 
und Preußen nicht einverstanden waren, gelangten nicht zur Verhandlung; eine 
aus den Protokollen ersichtliche Meinungsverschiedenheit beider Großmächte gehörte 
zu den Seltenheiten; ein offener Streit ihrer beiden Vertreter in den Sitzungen 
war etwas Unerhörtes und wurde als Gefahr für das Bestehen des Bundes unter 
allen Umständen vermieden. Auch mit kleineren Bundesregierungen, wenn sie 
nicht etwa einer Begünstigung liberaler Bestrebungen verdächtig waren, wurde 
lieber jahrelang verhandelt, als daß man ihnen durch Majoritätsbeschlüsse Zwang 
angetan hätte. 
Der Gedanke, daß wichtige Meinungsverschiedenheiten durch Majoritäts- 
bestimmungen am Bunde zur Entscheidung gebracht werden könnten, lag so fern, 
daß das Wiener Kabinett den Präsidialgesandten nur mit langen Unterbrechungen 
in Frankfurt anwesend sein und die Vertretung der österreichischen Interessen auf 
Jahr und Tag in den Händen des preußischen Gesandten ließ. Es begnügte sich 
damit, diesem in der Person des noch fungierenden königlich sächsischen Gesandten 
einen Beobachter zur Seite zu stellen 
Ein ganz anderes Bild gewähren die Verhandlungen am Bundestage seit der 
Reaktivierung im Jahre 1851. Der Fürst Schwarzenbergu) nahm den Plan auf, 
die Hegemonie über Deutschland, zu der Preußen durch die konstituierenden Ver- 
sammlungen und die Unionsversuche nicht hatte gelangen können, für Osterreich 
durch die Mittel zu gewinnen, die ihm die bestehende Bundesverfassung dar- 
bietet. Der Gedanke lag nahe, nachdem Osterreichs innere Organisation eine 
Richtung genommen hatte, in der dauernde Erfolge nur durch Anlehnung an 
Deutschland behufs der Kräftigung des verhältnismäßig wenig zahlreichen deutschen 
Elementes im Kaiserstaat erreicht werden konnten. Die Durchführung des Planes 
war möglich, wenn es Osterreich gelang, sich der Majorität im Bunde auf die 
Dauer zu versichern, demnächst die Kompetenz des Bundes und seiner Majoritäts- 
beschlüsse zu erweitern, und wenn Preußen die Macht oder der Wille fehlte, 
erfolgreichen Widerstand zu leisten. Der Augenblick war für eine solche Kon- 
zeption ein sehr günstiger. 
Osterreich konnte nach seinen intimen Beziehungen zu Rußland auf dessen 
Unterstützung für seine deutsche Politik rechnen und hatte mit dem in Frankreich 
neu entstehenden Kaisertum Verbindungen angeknüpft, welche gegen das Lebens- 
ende des Fürsten Schwarzenberg Besorgnisse vor einer engen Allianz der drei 
Kaiser im Gegensatz zu Preußen und England hervorriefen. 
Die große Mehrzahl der deutschen Regierungen, erschreckt durch die Re- 
volution und die aus derselben entspringende Gefahr, einen Teil ihrer Sou- 
veränität an Preußen zu verlieren, lehnte sich bereitwillig an Österreich an 
Die Erinnerung an die Erlebnisse von 1848 bis 1850 hatten der Besorgnis vor 
1) Osterreichischer Ministerpräsident.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.