Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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Handel, Gewerbe und die damit eng verbundenen Kommunikationsmittel 
haben einen nie geahnten Aufschwung genommen; doch muß auch hier Maß und 
Ziel gehalten werden, damit nicht der Schwindelgeist uns Wunden schlage. Den 
Kommunikationswegen müssen nach wie vor bedeutende Mittel zu Gebote gestellt 
werden; aber sie dürfen nur mit Rücksicht auf alle Staatsbedürfnisse bemessen 
und dann müssen die Etats innegehalten werden. 
Die Justiz hat sich in Preußen immer Achtung zu erhalten gewußt. Aber wir 
werden bemüht sein müssen, bei den veränderten Prinzipien der Rechtspflege das 
Gefühl der Wahrheit und der Billigkeit in alle Klassen der Bevölkerung eindringen 
zu lassen, damit Gerechtigkeit auch durch Geschworene wirklich gehandhabt werden kann. 
Eine der schwierigsten und zugleich zartesten Fragen, die ins Auge gefaßt 
werden muß, ist die kirchliche, da auf diesem Gebiete in der letzten Zeit viel 
vergriffen worden ist. Zunächst muß zwischen den beiden christlichen Konfessionen 
eine möglichste Parität obwalten. In beiden Kirchen muß aber mit allem Ernste 
den Bestrebungen entgegengetreten werden, die dahin abzielen, die Religion zum 
Deckmantel politischer Bestrebungen zu machen. In der evangelischen Kirche, 
wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihrer Grund- 
anschauung nicht verträglich ist, und die sofofrt in ihrem Gefolge Heuchler hat. 
Diese Orthodoxie ist dem segensreichen Wirken der evangelischen Union hinderlich 
in den Weg getreten, und wir sind nahe daran gewesen, sie zerfallen zu sehen. 
Die Aufrechterhaltung derselben und ihre Weiterbeförderung ist mein fester Wille 
und Entschluß mit aller billigen Berücksichtigung des konfessionellen Standpunktes, 
wie dies die dahin einschlagenden Dekrete vorschreiben. Um diese Aufgabe lösen 
zu können, müssen die Organe zu deren Durchführung sorgfältig gewählt und teil- 
weise gewechselt werden. Alle Heuchelei, Scheinheilig eit, kurzum alles Kirchen- 
wesen als Mittel zu egoistischen Zwecken, ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. 
Die wahre Religiosität zeigt sich im ganzen Verhalten des Menschen; dies ist 
immer ins Auge zu fassen und von äußerem Gebaren und Schaustellungen zu 
unterscheiden. Nichtsdestoweniger hoffe ich, daß, je höher man im Staate steht, 
man auch das Beispiel des Kirchenbesuches geben wird. — Der katholischen 
Kirche sind ihre Rechte verfassungsmäßig festgestellt. Übergriffe über diese hinaus 
sind nicht zu dulden. — Das Unterrichtswesen muß in dem Bewußtsein ge- 
leitet werden, daß Preußen durch seine höheren Lehranstalten an der Spitze 
geistiger Intelligenz stehen soll und durch seine Schulen die den verschiedenen 
Klassen der Bevölkerung nötige Bildung gewähren, ohne diese Klassen über ihre 
Sphären zu heben. Größere Mittel werden hierzu nötig werden. 
Die Armee hat Preußens Größe geschaffen und dessen Wachstum erkämpft; 
ihre Vernachlässigung hat eine Katastrophe über sie und dadurch über den Staat 
gebracht, die glorreich verwischt worden ist durch die zeitgemäße Reorganisation 
des Heeres, welche die Siege des Befreiungskrieges bezeichneten. Eine vierzig- 
jährige Erfahrung und zwei kurze Kriegsepisoden haben uns indes auch jetzt auf- 
merksam gemacht, daß manches, was sich nicht bewährt hat, zu Anderungen Ver- 
anlassung geben wird. Dazu gehören ruhige politische Zustände und — Geld, und 
es wäre ein schwer sich bestrafender Fehler, wollte man mit einer wohl- 
feilen Heeresverfassung prangen, die deshalb im Momente der Ent- 
scheidung den Erwartungen nicht entspräche. Preußens Heer muß 
mächtig und angesehen sein, um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes 
politisches Gewicht in die Wagschale legen zu können.
	        
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