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Handel, Gewerbe und die damit eng verbundenen Kommunikationsmittel
haben einen nie geahnten Aufschwung genommen; doch muß auch hier Maß und
Ziel gehalten werden, damit nicht der Schwindelgeist uns Wunden schlage. Den
Kommunikationswegen müssen nach wie vor bedeutende Mittel zu Gebote gestellt
werden; aber sie dürfen nur mit Rücksicht auf alle Staatsbedürfnisse bemessen
und dann müssen die Etats innegehalten werden.
Die Justiz hat sich in Preußen immer Achtung zu erhalten gewußt. Aber wir
werden bemüht sein müssen, bei den veränderten Prinzipien der Rechtspflege das
Gefühl der Wahrheit und der Billigkeit in alle Klassen der Bevölkerung eindringen
zu lassen, damit Gerechtigkeit auch durch Geschworene wirklich gehandhabt werden kann.
Eine der schwierigsten und zugleich zartesten Fragen, die ins Auge gefaßt
werden muß, ist die kirchliche, da auf diesem Gebiete in der letzten Zeit viel
vergriffen worden ist. Zunächst muß zwischen den beiden christlichen Konfessionen
eine möglichste Parität obwalten. In beiden Kirchen muß aber mit allem Ernste
den Bestrebungen entgegengetreten werden, die dahin abzielen, die Religion zum
Deckmantel politischer Bestrebungen zu machen. In der evangelischen Kirche,
wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihrer Grund-
anschauung nicht verträglich ist, und die sofofrt in ihrem Gefolge Heuchler hat.
Diese Orthodoxie ist dem segensreichen Wirken der evangelischen Union hinderlich
in den Weg getreten, und wir sind nahe daran gewesen, sie zerfallen zu sehen.
Die Aufrechterhaltung derselben und ihre Weiterbeförderung ist mein fester Wille
und Entschluß mit aller billigen Berücksichtigung des konfessionellen Standpunktes,
wie dies die dahin einschlagenden Dekrete vorschreiben. Um diese Aufgabe lösen
zu können, müssen die Organe zu deren Durchführung sorgfältig gewählt und teil-
weise gewechselt werden. Alle Heuchelei, Scheinheilig eit, kurzum alles Kirchen-
wesen als Mittel zu egoistischen Zwecken, ist zu entlarven, wo es nur möglich ist.
Die wahre Religiosität zeigt sich im ganzen Verhalten des Menschen; dies ist
immer ins Auge zu fassen und von äußerem Gebaren und Schaustellungen zu
unterscheiden. Nichtsdestoweniger hoffe ich, daß, je höher man im Staate steht,
man auch das Beispiel des Kirchenbesuches geben wird. — Der katholischen
Kirche sind ihre Rechte verfassungsmäßig festgestellt. Übergriffe über diese hinaus
sind nicht zu dulden. — Das Unterrichtswesen muß in dem Bewußtsein ge-
leitet werden, daß Preußen durch seine höheren Lehranstalten an der Spitze
geistiger Intelligenz stehen soll und durch seine Schulen die den verschiedenen
Klassen der Bevölkerung nötige Bildung gewähren, ohne diese Klassen über ihre
Sphären zu heben. Größere Mittel werden hierzu nötig werden.
Die Armee hat Preußens Größe geschaffen und dessen Wachstum erkämpft;
ihre Vernachlässigung hat eine Katastrophe über sie und dadurch über den Staat
gebracht, die glorreich verwischt worden ist durch die zeitgemäße Reorganisation
des Heeres, welche die Siege des Befreiungskrieges bezeichneten. Eine vierzig-
jährige Erfahrung und zwei kurze Kriegsepisoden haben uns indes auch jetzt auf-
merksam gemacht, daß manches, was sich nicht bewährt hat, zu Anderungen Ver-
anlassung geben wird. Dazu gehören ruhige politische Zustände und — Geld, und
es wäre ein schwer sich bestrafender Fehler, wollte man mit einer wohl-
feilen Heeresverfassung prangen, die deshalb im Momente der Ent-
scheidung den Erwartungen nicht entspräche. Preußens Heer muß
mächtig und angesehen sein, um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes
politisches Gewicht in die Wagschale legen zu können.