Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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ich mich auch nicht für berechtigt, mich gegen ihn früher zu äußern als gegen den 
König. Den Eindruck, den die Tatsache meiner Audienz gemacht hatte, ersah ich 
zunächst aus der Mitteilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich zu ihm 
gesagt habe: „Mit dem ist es auch nichts; er ist ja schon bei meinem Sohne ge— 
wesen.“ Die Tragweite dieser Außerung wurde mir nicht sofort verständlich, weil 
ich nicht wußte, daß der König sich mit dem Gedanken der Abdikation trug und 
voraussetzte, daß ich davon gewußt oder etwas vermutet hätte und mich deshalb 
mit seinem Nachfolger zu stellen gesucht habe. 
In der Tat war mir jeder Gedanke an Abdikation des Königs fremd, als 
ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde, und die Situation wurde 
mir erst klar, als Se. Majestät sie ungefähr mit den Worten präzisierte: „Ich will 
nicht regieren, wenn ich es nicht so vermag, wie ich es vor Gott, meinem Ge- 
wissen und meinen Untertanen verantworten kann. Das kann ich aber nicht, 
wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Landtags regieren soll, 
und ich finde keine Minister mehr, die bereit wären, meine Regierung zu führen, 
ohne sich und mich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich 
deshalb entschlossen, die Regierung niederzulegen, und meine Abdikationsurkunde, 
durch die angeführten Gründe motiviert, bereits entworfen.“ Der König zeigte 
mir das auf dem Tische liegende Aktenstück in seiner Handschrift, ob bereits voll- 
zogen oder nicht, weiß ich nicht. Se. Majestät schloß, indem er wiederholte, ohne 
geeignete Minister könne er nicht regieren. 
Ich erwiderte, es sei Sr. Majestät schon seit dem Mai bekannt, daß ich 
bereit sei, in das Ministerium einzutreten, ich sei gewiß, daß Roon mit mir bei 
ihm bleiben werde, und ich zweifelte nicht, daß die weitere Vervollständigung 
des Kabinetts gelingen werde, falls andere Mitglieder sich durch meinen Eintritt 
zum Rücktritt bewogen finden sollten. Der König stellte nach e nigem Erwägen 
und Hin= und Herreden die Frage, ob ich bereit sei, als Minister für die Militär- 
Reorganisation einzutreten, und nach meiner Bejahung die weitere Frage, ob 
auch gegen die Majorität des Landtages und deren Beschlüsse. Auf meine Zusage 
erklärte er schließlich: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung 
des Kampfes zu versuchen, und ich abdiciere nicht.“ Ob er das auf dem Tische 
liegende Schriftstück vernichtet oder in rei memoriamt) aufbewahrt hat, weiß ich 
nicht. 
Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Auf diesem 
Spaziergange gab er mir ein Programm zu lesen, das in seirer engen Schrift 
acht Folioseiten füllte, alle Eventualitäten der damaligen Regierungspolitik um- 
faßte und auf Details wie die Reform der Kreistage einging. Ich lasse es dahin- 
gestellt sein, ob dieses Elaborat schon Erörterungen mit meinen Vorgängern zur 
Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherstellung gegen eine mir zugetraute 
konservative Durchgängerei dienen sollte. Ohne Zweifel war, als er damit um- 
ging, mich zu berufen, eine Befürchtung der Art in ihm von seiner Gemahlin 
geweckt worden, von deren politischer Begabung er ursprünglich eine hohe Meinung 
hatte, die aus der Zeit datierte, wo Sr. Mojestät nur eine kronprinzliche Kritik 
der Regierung des Bruders ohne Pflicht zu eigener besserer Leistung zugestanden 
hatte. In der Kritik war die Prinzessin ihrem Gemahl überlegen. Die ersten 
Zweifel an dieser geistigen Überlegenheit waren ihm gekommen, als er genötigt 
1) Zur Erinnerung.
	        
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