— 48 —
ich mich auch nicht für berechtigt, mich gegen ihn früher zu äußern als gegen den
König. Den Eindruck, den die Tatsache meiner Audienz gemacht hatte, ersah ich
zunächst aus der Mitteilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich zu ihm
gesagt habe: „Mit dem ist es auch nichts; er ist ja schon bei meinem Sohne ge—
wesen.“ Die Tragweite dieser Außerung wurde mir nicht sofort verständlich, weil
ich nicht wußte, daß der König sich mit dem Gedanken der Abdikation trug und
voraussetzte, daß ich davon gewußt oder etwas vermutet hätte und mich deshalb
mit seinem Nachfolger zu stellen gesucht habe.
In der Tat war mir jeder Gedanke an Abdikation des Königs fremd, als
ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde, und die Situation wurde
mir erst klar, als Se. Majestät sie ungefähr mit den Worten präzisierte: „Ich will
nicht regieren, wenn ich es nicht so vermag, wie ich es vor Gott, meinem Ge-
wissen und meinen Untertanen verantworten kann. Das kann ich aber nicht,
wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Landtags regieren soll,
und ich finde keine Minister mehr, die bereit wären, meine Regierung zu führen,
ohne sich und mich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich
deshalb entschlossen, die Regierung niederzulegen, und meine Abdikationsurkunde,
durch die angeführten Gründe motiviert, bereits entworfen.“ Der König zeigte
mir das auf dem Tische liegende Aktenstück in seiner Handschrift, ob bereits voll-
zogen oder nicht, weiß ich nicht. Se. Majestät schloß, indem er wiederholte, ohne
geeignete Minister könne er nicht regieren.
Ich erwiderte, es sei Sr. Majestät schon seit dem Mai bekannt, daß ich
bereit sei, in das Ministerium einzutreten, ich sei gewiß, daß Roon mit mir bei
ihm bleiben werde, und ich zweifelte nicht, daß die weitere Vervollständigung
des Kabinetts gelingen werde, falls andere Mitglieder sich durch meinen Eintritt
zum Rücktritt bewogen finden sollten. Der König stellte nach e nigem Erwägen
und Hin= und Herreden die Frage, ob ich bereit sei, als Minister für die Militär-
Reorganisation einzutreten, und nach meiner Bejahung die weitere Frage, ob
auch gegen die Majorität des Landtages und deren Beschlüsse. Auf meine Zusage
erklärte er schließlich: „Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung
des Kampfes zu versuchen, und ich abdiciere nicht.“ Ob er das auf dem Tische
liegende Schriftstück vernichtet oder in rei memoriamt) aufbewahrt hat, weiß ich
nicht.
Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Auf diesem
Spaziergange gab er mir ein Programm zu lesen, das in seirer engen Schrift
acht Folioseiten füllte, alle Eventualitäten der damaligen Regierungspolitik um-
faßte und auf Details wie die Reform der Kreistage einging. Ich lasse es dahin-
gestellt sein, ob dieses Elaborat schon Erörterungen mit meinen Vorgängern zur
Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherstellung gegen eine mir zugetraute
konservative Durchgängerei dienen sollte. Ohne Zweifel war, als er damit um-
ging, mich zu berufen, eine Befürchtung der Art in ihm von seiner Gemahlin
geweckt worden, von deren politischer Begabung er ursprünglich eine hohe Meinung
hatte, die aus der Zeit datierte, wo Sr. Mojestät nur eine kronprinzliche Kritik
der Regierung des Bruders ohne Pflicht zu eigener besserer Leistung zugestanden
hatte. In der Kritik war die Prinzessin ihrem Gemahl überlegen. Die ersten
Zweifel an dieser geistigen Überlegenheit waren ihm gekommen, als er genötigt
1) Zur Erinnerung.