Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

der Krone zu einem Schilde zu machen, durch welchen das Ministerium sich deckt. 
Wir bedürfen dieser Deckung nicht; wir stehen fest auf dem Boden unseres guten 
Rechtes. Ich weise diese Trennung nur deshalb zurück, weil durch sie die Tat— 
sache verdeckt wird, daß Sie sich im Kampfe mit der Krone um die Herrschaft 
dieses Landes befinden, und nicht im Kampfe mit dem Ministerium. 
Sie finden die Verfassungsverletzung in specie bei Art. 99. Art. 99 lautet, 
wenn ich mich der Worte erinnere: „Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates 
müssen für jedes Jahr im voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat 
gebracht werden.“ Wenn darauf folgte: „Letzterer wird jährlich durch das Haus 
der Abgeordneten festgestellt", dann hätten Sie in Ihren Beschwerden in der 
Adresse vollkommen recht, dann wäre die Verfassung verletzt. Es folgt aber im 
Text des Art. 99: „Letzterer, der Staatshaushalts-Etat, wird jährlich durch ein 
Gesetz festgestellt.“ Wie nun ein Gesetz zustande kommt, sagt Art. 62 mit un- 
widerleglicher Klarheit. Er sagt, daß zum Zustandekommen eines jeden Gesetzes, 
also auch des Budgetgesetzes, die Übereinstimmung der Krone und der beiden 
Kammern erforderlich ist. Daß das Herrenhaus berechtigt ist, ein von der zweiten 
Kammer beschlossenes und ihm nicht konvenierendes Budget zu verwerfen, ist 
außerdem noch in dem Artikel hervorgehoben. 
Jedes dieser konkurrierenden Rechte ist in der Theorie unbegrenzt und das 
eine so stark wie das andere. Wenn eine Vereinbarung zwischen den drei Ge- 
walten nicht stattfindet, so fehlt es der Verfassung an jeglicher Bestimmung 
darüber, welche von ihnen nachgeben müssen 
Die Verfassung hält das Gleichgewicht der drei gesetzgebenden Gewalten in 
allen Fragen, auch in der Budget-Gesetzgebung, durchaus fest; keine dieser Gewalten 
kann die anderen zum Nachgeben zwingen; die Verfassung verweist daher auf den 
Weg der Kompromisse zur Verständigung. Ein konstitutionell erfahrener Staats- 
mann hat gesagt, daß das ganze Verfassungsleben jederzeit eine Reihe von Kom- 
promissen ist. 
Wird der Kompromiß dadurch vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten 
ihre eigene Ansicht mit doktrinärem Absolutismus durchführen will, so wird die 
Reihe der Kompromisse unterbrochen, und an ihre Stelle treten Konflikte, und 
Konflikte, da das Staatsleben nicht still zu stehen vermag, werden zu Machtfragen. 
Wer die Macht in Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staats- 
leben auch nicht einen Augenblick stillstehen kan. 1) 
Daß hier eine Lücke in der Verfassung ist, ist gar keine neue Erfindung. 
Ich habe selbst damals den Verhandlungen wegen der Revision der Verfassung 
beigewohnt, und wir haben uns mehrere Tage in sehr eingehender Weise mit 
dieser Möglichkeit beschäftigt, die jetzt nach 14 Jahren zum ersten Male zur 
Wirklichkeit geworden ist. Daß es eine Unmöglichkeit sei, ist damals niemandem 
eingefallen; man hat sich nur über die Vorkehrungsmaßregeln, die für einen 
solchen Fall getroffen werden sollten, nicht einigen können. 
Ich muß nach dem Gesagten die Behauptungen, daß wir verfassungswidrig 
gehandelt haben, ja, daß wir die Verfassung verletzt hätten, auf das bestimmteste 
#2) Da der gesamte Staatsbedarf vom Abgeordnetenhause verweigert worden war, so 
hätten in strenger Auswirkung dieses Beschlusses alle staatlichen Ausgaben eingestellt 
werden müssen. Kein Beamter hätte sein Gehalt bekommen dürfen. Man hätte das Heer 
entlassen, alle Regierungs= und Gerichtskollegien auflösen müssen usw., mit anderen 
Worten: der Staat wäre völlig aus seinen Fugen gewichen und zugrunde gegangen.
	        
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