80 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht.
Privatrecht ebenso wie das partikuläre Privatrecht der Einzelstaaten), ist durch
das bürgerliche Gesetzbuch aufgehoben worden. Dem Landesprivatrecht
gegenüber ist das bürgerliche Gesetzbuch eine Kodifikation, die durch ihr
bloßes Dasein das bisherige Recht verschwinden macht. Landesprivat-
recht soll grundsätzlich nicht mehr sein. Zu dem Zweck ist das bürger-
liche Gesetzbuch geschaffen worden. Landesprivatrecht soll auch in Zukunft
nicht mehr neu entstehen. Die Rechtsverschiedenheit des partikulären Privat-
rechts soll durch die neue Reichsgesetzgebung grundsätzlich für immer be-
seitigt sein.
Aber dieser Grundsatz entbehrt der völligen Durchführung. Im Einführungs-
gesetz ist eine große Zahl von sehr bedeutsamen Vorbehalten zugunsten des
Landesprivatrechts gemacht worden. Im Umkreis dieser Vorbehalte soll auch
später noch Landesprivatrecht sein und auch neues Landesprivatrecht aus-
gebildet werden können. Ein Beispiel ist das Recht der Familienfideikommisse
und der Lehngüter (auch der ehemaligen Lehngüter), das Recht der Renten-
güter, das Anerbenrecht, das Sonderrecht des hohen Adels usf.
Dem bürgerlichen Gesetzbuch ist das Familienfideikommiß unbekannt,
ebenso wie das Lehngut. Von Reichsprivatrechts wegen gibt es nur freies Eigen-
tum, das unter Lebenden wie von Todes wegen der Verfügungsgewalt des Eigen-
tümers unterliegt. Von Landesprivatrechts wegen aber kann es gebundenes
Eigentum mit gebundener Erbfolge, mit Ausschluß der freien Veräußerung
und der freien Verschuldung geben. Ferner: das bürgerliche Gesetzbuch kennt
keine Stände; von Landesprivatrechts wegen bzw. kraft der Hausgesetzgebung
bleibt das Privatfürstenrecht für den hohen Adel als solchen in Geltung. Das
bürgerliche Gesetzbuch kennt keine Anerbenfolge, keine Bevorzugung eines
Geschwisterteils für die Erbfolge in ein landwirtschaftliches oder forstwirt-
schaftliches Grundstück; das Landesprivatrecht aber kann die Anerbenfolge
vorschreiben.
So gilt also neben dem bürgerlichen Gesetzbuch einerseits anderweitiges
Reichsprivatrecht, andererseits vorbehaltenes Landesprivatrecht. Das
anderweitige Reichsprivatrecht ist in der Hauptsache Sonderprivatrecht für
Handels und Handel und Gewerbe. Es bildet, wenn man so sagen darf, den linken Flügel
Gewerberecht.
Agrarisches
Privatrecht.
des heutigen Privatrechts. In ihm ist der liberale, bürgerliche Geist des heutigen
Verkehrsrechts, der auch im bürgerlichen Gesetzbuch lebendig ist, gleichfalls
zu voller Ausprägung gelangt (das Reichsbörsengesetz bildet eine Ausnahme).
Das vorbehaltene Landesprivatrecht dagegen steht dem bürgerlichen Gesetz-
buch zur Rechten. In diesen Vorbehalten zugunsten des Landesrechts tritt
das agrarische Interesse weit in den Vordergrund. Die weitaus meisten und
wichtigsten Vorbehalte beziehen sich auf das agrarische Privatrecht, auf die
den ländlichen Grundbesitz gestaltende Regulierungsgesetzgebung, Ablösungs-
gesetzgebung, Verschuldungsgesetzgebung der Landesrechte, auf das Sonder-
recht des gebundenen ländlichen (adligen und bäuerlichen) Grundbesitzes. Im
bürgerlichen Gesetzbuch herrscht, ebenso wie in dem anderweitigen Reichs-
privatrecht, der Geist des Kaufmanns. Kraft der Vorbehalte des Einführungs-