Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Stil des 
Gesetrbuchs, 
82 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht. 
III. Art der Darstellung. Das bürgerliche Gesetzbuch hat seine große 
Aufgabe in. wenig mehr als zweitausend knappen Paragraphen gelöst. Es ist 
selbstverständlich, daß nicht jeder Paragraph in gleichem Maße gelungen ist. 
Es begegnen, wie in jedem Gesetzgebungswerk, mannigfache Fehler, sowohl 
hinsichtlich der Art der Darstellung, wie hinsichtlich der Sache. Doch es kommt 
hier nicht auf eine Kritik des Einzelnen, sondern auf Bewertung des Ganzen an. 
Sobald man den Blick auf das Ganze, auf die durchgehenden Charakterzüge 
der Darstellung richtet, wird man von dem Gesetzbuch urteilen müssen, daß 
es in hohem Grade seiner Aufgabe gerecht geworden ist. Auch den Vergleich 
mit seinem jüngeren Nebenbuhler, dem bereits oben (S.75) genannten Schweize- 
rischen Zivilgesetzbuch von 1907, braucht unser bürgerliches Gesetzbuch nicht 
zu schuen. Gewiß, das schweizerische Zivilgesetzbuch ist eine gesetzgeberische 
Leistung von hohem Rang. Es hat weit mehr unmittelbar Ansprechendes als 
unser bürgerliches Gesetzbuch. Seine Art der Darstellung ist anschaulicher, 
frischer, dem Leben näher und darum dem gemeinen Verständnis weit mehr 
entgegenkommend als die in strengstem juristischem Stil gehaltene, gemessene, 
trockene, zum Teil schulmeisterlich anmutende Redeweise unseres bürgerlichen 
Gesetzbuehes. Faßt man aber die Gesetzesworte an, um ihren rechtlichen Inhalt 
zu erheben, so ist das Ergebnis in der Regel bei unserem bürgerlichen Gesetzbuch 
das befriedigendere. Das deutsche Gesetzbuch ist an rechtlichem Inhalt, an 
weittragenden und doch genau gefaßten, sichere Richtlinien weisenden Rechts- 
sätzen um vieles reicher als das Zivilgesetzbuch. Es konnte nicht anders sein. Nicht 
so, als ob das eine Gesetzbuch schlechtweg das bessere wäre vor dem anderen. 
Es war eine andere Aufgabe dort zu lösen und hier. Das schweizerische Zivil- 
gesetzbuch ist auf die schweizerische Rechtsprechung eingerichtet, auf starke 
Beteiligung des Laienelements und auf weiten Raum für billiges Ermessen im 
Einzelfall. Die deutsche Rechtsprechung ist dagegen in den Händen von Juristen, 
damit sie sichere, soweit möglich vorher berechenbare, dem Verkehr zuverlässige 
Weisungen gebende, grundsätzlich dem Gesetz, nicht dem Ermessen dienende 
Rechtsprechung sei. Eine andere Art der Rechtsprechung fordert eine andere 
Art Gesetz. So wenig das bürgerliche Gesetzbuch in der Schweiz, so wenig 
würde das Zivilgesetzbuch in Deutschland an seinem rechten Platze sein. 
Unser deutsches bürgerliches Gesetzbuch hat die deutsche Art. Es ist dem 
deutschen rechtsgelehrten Richter auf den Leib geschrieben, — diesem so 
viel geschmähten ‚‚weltfremden‘‘ deutschen Richter, dessen Pflichttreue gegen 
das Gesetz eine der stärksten Grundvesten unseres Gemeinwesens darstellt. 
Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch gehört zu der deutschen Recht- 
sprechung. Es gewährt dem Richter die feste, seine Urteile tragende Grund- 
lage. und gibt ihm doch zugleich die Freiheit, die um der Fortentwickelung des 
Rechtes willen notwendig ist. 
Damit dem deutschen Rechtsleben das aus ihm erwachsene Recht zuteil 
werde, hat das bürgerliche Gesetzbuch eine Form der Darstellung, die den 
Richter zugleich bindet und durch die Bindung (nicht bloß an die Einzel- 
vorschrift, sondern an das Ganze des Gesetzes) ihn befreit.
	        
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