88 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht.
(Volkland), das Vermögen der Gemeinde als gemeinsames Vermögen der Ge-
meindegenossen (Almende). Diese Auffassung ist eine unzulängliche. Schon
deshalb, weil sie den Verband gleichsetzt mit den gegenwärtig Verbundenen.
Das Wesen der gesellschaftlichen Verbände aber ist, alle einzelnen Verbands-
angehörigen zu überdauern, ein Leben zu führen, das von dem Leben der je-
weiligen Glieder unabhängig ist. Der Verband lebt allen kommenden Ge-
schlechtern. Sein Vermögen ist Zukunftsvermögen.
Es kommt eine zweite Tatsache hinzu, die bei fortgeschrittener Entwicke-
lung sich geltend macht. Solange das Verbandsvermögen gemeinsames Ver-
mögen ist, muß jedes einzelne Verbandsmitglied persönlich mit seinem ganzen
Vermögen für die Schulden des Verbands haften, für die Schulden seines Landes,
seiner Stadt, seiner Gemeinde. Es gilt, eine Rechtsform zu finden, die solche
Rechtsfolgen ausschließt, die, wie den Verband von den gegenwärtig Verbunde-
nen, so die Verbundenen vom Verbande wirtschaftlich befreit.
Das deutsche Recht des Mittelalters ist bei der älteren naiven Auffassung
verblieben. Die deutsche Form für das rechtliche Dasein der Verbände war
die Genossenschaft. Die deutschrechtliche Genossenschaft aber bedeutet ledig-
lich eine Form der Rechtsgemeinschaft: die Berechtigung aller Genossen,
die Verpflichtung aller Genossen. Es hat im Lauf des Mittelalters ein Fort-
schritt stattgefunden, insofern (insbesondere innerhalb des Stadtrechts) körper-
schaftliche Formen für die Verwaltung des genossenschaftlichen Vermögens
ausgebildet wurden. Die voll ausgebildete deutschrechtliche Genossenschaft
(z.B. die Stadtgemeinde) ist Rechtsgemeinschaft mit körperschaftlicher
Verwaltung: der Einzelne ist von der Handhabung der genossenschaftlichen
Rechte ausgeschlossen, damit allein der Verband als solcher (als körperschaftliche
Einheit) durch seine verfassungsmäßigen Organe über das genossenschaftliche
(städtische) Vermögen verfüge. Aber es bleibt dabei, daß das Vermögen der
Genossenschaft seiner Zuständigkeit nach gemeinschaftliches Vermögen aller
Genossen, d.h. aller Einzelnen darstellt. Nur der einzelne Genosse ist nach
deutschem Recht Person (vermögensfähig, rechtsfähig), nicht die Genossen-
schaft. Es gibt keine juristische Person neben den natürlichen Personen. Durch
die körperschaftliche Verwaltung wird zwar der Verband wirtschaftlich befreit
von den gegenwärtig Verbundenen (nur im Verbandsinteresse kann über das
Vermögen verfügt werden). Aber der Verbundene ist nicht befreit vom Ver-
bande: er haftet für alle Schulden der Genossenschaft (z. B. der Stadt), der er
angehört. Zur Zeit der Naturalwirtschaft spielen die Schulden keine Rolle.
Aber es kommt die Zeit der Geldwirtschaft und damit der Kreditwirtschaft.
Die Schulden des Verbandes bedrohen das wirtschaftliche Dasein aller Verbands-
genossen. Die Geldwirtschaft fordert eine vollkommenere Rechtsform für den
Verband: die juristische Person. Sie ist vom römischen Recht im Lauf der
Kaiserzeit ausgebildet worden. Im 16. Jahrhundert kommt sie mit Aufnahme
des römischen Rechts nach Deutschland, um auch das deutsche Verbandsrecht
aus naturalwirtschaftlichem in geldwirtschaftliches, bürgerliches Recht zu ver
wandeln.