Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des bürgerlichen Rechts. A. Allgemeine Lehren. 95 
spielt im bürgerlichen Gesetzbuch nur noch eine ganz untergeordnete Rolle. 
Die Sicherung des Verkehrs wird durch andere viel weiter greifende, sofortige 
Erwerbswirkung schaffende Rechtssätze erreicht: durch die Rechtssätze von 
der Legitimation. 
Legitimation ist nicht Verfügungsberechtigung, aber sie ersetzt die Ver- 
fügungsberechtigung für den Verkehr. Sie macht das Verfügungsgeschäft des 
Nichtberechtigten wirksam zu Lasten des in Wahrheit Berechtigten, zugunsten 
des gutgläubigen Verfügungserwerbers. Legitimation ist der für den Ver- 
kehr ausreichende Ausweis der Verfügungsberechtigung. Wer legitimiert ist, 
d.h. wer solchen Ausweis besitzt, gilt zugunsten des gutgläubigen Verkehrs 
als verfügungsberechtigt, mag er in Wahrheit berechtigt sein oder nicht 
Eine ganze Reihe von Rechtssätzen des bürgerlichenGesetzbuchs handelt 
von der Legitimation, von den Vorschriften „zugunsten derjenigen, welche 
Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten‘‘, d.h. von dem Erwerbe durch 
Verfügung eines Nichtberechtigten. Für den Fahrnisverkehr legitimiert der 
Besitz: der gutgläubige Erwerb durch Verfügung des Besitzers der beweg- 
lichen Sache ist grundsätzlich (falls nicht die Sache dem wahren Eigentümer 
wider Willen abhanden gekommen war) sofort wirksamer Erwerb (es bedarf 
keiner Ersitzung). Für den Liegenschaftsverkehr legitimiert die Eintragung 
“ im Grundbuch: der gutgläubige Erwerb von dem, der als berechtigt im Grund- 
buch eingetragen steht, ist grundsätzlich ein sofort wirksamer Erwerb, auch 
wenn der im Grundbuch Eingetragene in Wahrheit nicht der Berechtigte ist. 
Die Gläubigerlegitimation behält der bisherige Gläubiger dem gutgläubigen 
Schuldner gegenüber, auch wenn die Gläubigerschaft des bisherigen Gläubigers 
durch Abtretung der Forderung an einen Dritten bereits ihr Ende erreicht hat: 
solange der Schuldner von der geschehenen Abtretung keine Kenntnis hat, 
kann der bisherige Gläubiger ihm wirksam die Schuld erlassen, ihn durch Zah- 
lungsannahme von der Schuld befreien usf. Die Erbenlegitimation wird durch 
den Erbschein begründet. Wer durch einen Erbschein als Erbe ausgewiesen 
ist, kann zugunsten des gutgläubigen Dritten wirksam alle Verfügungen vor- 
nehmen, wie wenn er der wirkliche Erbe wäre, mag er nun in Wahrheit Erbe 
sein oder nicht: ihm können die Erbschaftsschuldner wirksam zahlen, er kann 
eine Erbschaftsforderung wirksam abtreten usf. Immer hat der Legitimierte 
zugunsten des gutgläubigen Verkehrs die Rolle eines Verfügungsberechtigten 
(bzw. eines Erbberechtigten). 
Die Rechtssätze über die Legitimation, von denen im vorigen nur einige 
Beispiele gegeben sind, finden sich in den mannigfachsten Formen überall im 
bürgerlichen Gesetzbuche. Sie sind über das gesamte neue Recht ausgebreitet 
und geben dem Verkehrsrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs sein eigenartiges 
Gepräge. Sie gelten für alle Arten der Verfügungsgeschäfte (Leistungsgeschäfte). 
Sie sichern den gutgläubigen Verkehr schlechtweg. Legitimation ist nach dem 
bürgerlichen Gesetzbuche besser, stärker, als Berechtigung. Die Geldwirtschaft, 
die einen unausscheidbaren Bestandteil der Kultur der Gegenwart bedeutet, 
hat auch die Rechtssätze des bürgerlichen Gesetzbuchs von der Legitimation
	        
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