Treue und
Glauben.
IO0Oo RupoLpH SOoHM: Bürgerliches Recht.
tung seines jeweiligen Vermögens. Erfüllt der Schuldner nicht, so erfolgt die
Befriedigung des Gläubigers durch Zwangsvollstreckung in die schuldnerische
Habe. Soweit Naturalvollstreckung (z. B. durch Wegnahme der geschuldeten
Sache) unmöglich ist, muß das Forderungsrecht sich in Geld umsetzen, um den
entsprechenden Wert dem Vermögen des Schuldners zu entnehmen.
Die Haftung des Schuldners bleibt hinter seiner Schuld zurück. Die Schuld
geht auf die Leistung selber, die Haftung nur auf ihren wirtschaftlichen Wert.
Der Gläubiger muß sich zufrieden geben, wenn ihm der Leistungerfolg zugute
kommt. So ist der Schuldner frei, auch wenn ein anderer dem Gläubiger das
Geschuldete leistet. Vor allem: der Schuldner ist rechtlich nicht verhindert,
der Schuldverpflichtung zuwider zu handeln. Er kann z. B. die verkaufte (noch
nicht übergebene) Sache wiederum einem anderen gültig verkaufen und den
zweiten Käufer durch Übergabe gültig zum Eigentümer machen. Dem ersten
Käufer bleibt sein Kaufforderungsrecht, aber er wird durch Zwangsvollstreckung
nicht zur Naturalbefriedigung, sondern nur zur Leistung von Schadensersatz
in Geld, d. h. zu dem Wert seiner Forderung, gelangen. Vereitelt der Schuldner
die Naturalerfüllung, so haftet er für Schadensersatz wegen Nichterfüllung.
Darin äußert und erschöpft sich die Kraft des Forderungsrechts, zugleich
die Wirkung der schuldrechtlichen Verpflichtung. Die Schuldverpflichtung
bindet den Willen des Schuldners nicht; sie verhaftet nur sein Vermögen.
Das Schuldverhältnis ist kein Gewaltverhältnis, die Schuldverpflichtung keine
Unterordnung. Der Schuldner bleibt dem Gläubiger gegenüber eine vollfreie
Persönlichkeit. Die Schuld ist nur eine Minderung seines Vermögens, nicht
seiner Freiheit. Das Schuldrecht ist ein Teil des Vermögensrechts.
IIl. Der Inhalt des Schuldverhältnisses. Auf der Entwickelungs-
stufe des älteren Rechts bestimmt der Inhalt des Schuldverhältnisses sich genau
nach dem Schuldgrunde. Es muß das geschehen, was zugesagt ist, nicht mehr
und nicht weniger. Die Schuldverhältnisse sind strenger, unbeweglicher Natur.
Das römische Recht hat im Lauf seiner Entwickelung einzelne Schuldverhält-
nisse (z. B. die Schuld aus Kauf und Miete) ausgebildet, für die der Inhalt sich
nicht genau durch den geschlossenen Vertrag, sondern auf Grund der Gesamt-
umstände nach Treu und Glauben bestimmte. Die bonae fidei obligatio trat
neben die stricti iuris obligatio.
Das bürgerliche Gesetzbuch hat, an die gemeinrechtliche Entwickelung
anknüpfend, das unserer Zeit entsprechende Recht voll durchgeführt. Nach
dem bürgerlichen Gesetzbuche bestimmt der Inhalt aller Schuldverbindlich-
keiten sich nicht lediglich nach den logischen Ergebnissen des Entstehungs-
vorgangs, sondern nach Treu und Glauben: die Leistung ist, was auch ihr
Schuldgrund sein möge, ‚so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht
auf die Verkehrssitte es erfordern‘‘. Weder der Gläubiger, noch der Schuldner
kann auf seinem Schein bestehen. Was Treu und Glauben nach Maßgabe der
Verkehrssitte fordern, kann weniger, aber auch mehr sein, als was versprochen
bzw. ursprünglich geschuldet wurde. Was aus dem Schuldverhältnis zu leisten