Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Treue und 
Glauben. 
IO0Oo RupoLpH SOoHM: Bürgerliches Recht. 
tung seines jeweiligen Vermögens. Erfüllt der Schuldner nicht, so erfolgt die 
Befriedigung des Gläubigers durch Zwangsvollstreckung in die schuldnerische 
Habe. Soweit Naturalvollstreckung (z. B. durch Wegnahme der geschuldeten 
Sache) unmöglich ist, muß das Forderungsrecht sich in Geld umsetzen, um den 
entsprechenden Wert dem Vermögen des Schuldners zu entnehmen. 
Die Haftung des Schuldners bleibt hinter seiner Schuld zurück. Die Schuld 
geht auf die Leistung selber, die Haftung nur auf ihren wirtschaftlichen Wert. 
Der Gläubiger muß sich zufrieden geben, wenn ihm der Leistungerfolg zugute 
kommt. So ist der Schuldner frei, auch wenn ein anderer dem Gläubiger das 
Geschuldete leistet. Vor allem: der Schuldner ist rechtlich nicht verhindert, 
der Schuldverpflichtung zuwider zu handeln. Er kann z. B. die verkaufte (noch 
nicht übergebene) Sache wiederum einem anderen gültig verkaufen und den 
zweiten Käufer durch Übergabe gültig zum Eigentümer machen. Dem ersten 
Käufer bleibt sein Kaufforderungsrecht, aber er wird durch Zwangsvollstreckung 
nicht zur Naturalbefriedigung, sondern nur zur Leistung von Schadensersatz 
in Geld, d. h. zu dem Wert seiner Forderung, gelangen. Vereitelt der Schuldner 
die Naturalerfüllung, so haftet er für Schadensersatz wegen Nichterfüllung. 
Darin äußert und erschöpft sich die Kraft des Forderungsrechts, zugleich 
die Wirkung der schuldrechtlichen Verpflichtung. Die Schuldverpflichtung 
bindet den Willen des Schuldners nicht; sie verhaftet nur sein Vermögen. 
Das Schuldverhältnis ist kein Gewaltverhältnis, die Schuldverpflichtung keine 
Unterordnung. Der Schuldner bleibt dem Gläubiger gegenüber eine vollfreie 
Persönlichkeit. Die Schuld ist nur eine Minderung seines Vermögens, nicht 
seiner Freiheit. Das Schuldrecht ist ein Teil des Vermögensrechts. 
IIl. Der Inhalt des Schuldverhältnisses. Auf der Entwickelungs- 
stufe des älteren Rechts bestimmt der Inhalt des Schuldverhältnisses sich genau 
nach dem Schuldgrunde. Es muß das geschehen, was zugesagt ist, nicht mehr 
und nicht weniger. Die Schuldverhältnisse sind strenger, unbeweglicher Natur. 
Das römische Recht hat im Lauf seiner Entwickelung einzelne Schuldverhält- 
nisse (z. B. die Schuld aus Kauf und Miete) ausgebildet, für die der Inhalt sich 
nicht genau durch den geschlossenen Vertrag, sondern auf Grund der Gesamt- 
umstände nach Treu und Glauben bestimmte. Die bonae fidei obligatio trat 
neben die stricti iuris obligatio. 
Das bürgerliche Gesetzbuch hat, an die gemeinrechtliche Entwickelung 
anknüpfend, das unserer Zeit entsprechende Recht voll durchgeführt. Nach 
dem bürgerlichen Gesetzbuche bestimmt der Inhalt aller Schuldverbindlich- 
keiten sich nicht lediglich nach den logischen Ergebnissen des Entstehungs- 
vorgangs, sondern nach Treu und Glauben: die Leistung ist, was auch ihr 
Schuldgrund sein möge, ‚so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht 
auf die Verkehrssitte es erfordern‘‘. Weder der Gläubiger, noch der Schuldner 
kann auf seinem Schein bestehen. Was Treu und Glauben nach Maßgabe der 
Verkehrssitte fordern, kann weniger, aber auch mehr sein, als was versprochen 
bzw. ursprünglich geschuldet wurde. Was aus dem Schuldverhältnis zu leisten
	        
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