104 RupoLPH SOHM: Bürgerliches Recht.
„die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der
Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert‘‘. Hier ist der Gedanke zum recht-
lichen Ausdruck gekommen, daß Reichtum verpflichtet. Der vermögende
Unzurechnungsfähige soll dem unvermögenden Geschädigten kraft der Ver-
ursachung des Schadens als solcher den Schaden zu ersetzen schuldig sein.
Der in der Rechtsgemeinschaft der Volksgenossen wurzelnde Grundsatz der
gerechten Güterverteilung zieht in solchem Falle die Ausgleichungspflicht,
d.h. die Schadensersatzpflicht nach sich.
Die Hauptanwendungsfälle des Verursachungsprinzips liegen auf dem Ge-
biet der Gefährdungshaftung. Wer eine Handlung vornimmt, die an sich
nicht schuldhaft ist, aber doch durch ihre Natur die Gefährdung fremder Rechts-
güter einschließt, muß, falls die Gefahr sich verwirklicht, nach dem Ver-
ursachungsprinzip für Schadensersatz ohne Rücksicht auf Verschulden haften:
er hat den Nutzen von seiner Handlung, so soll er auch den Schaden haben. Das
ist für eine Reihe von Fällen gesetzlich anerkannt. Solche Gefährdungshaftung
hat z. B. das Reichshaftpflichtgesetz von 1871 zu Lasten insbesondere des Be-
triebsunternehmers einer Eisenbahn, auch (in gewissen Grenzen) zu Lasten des
Bergwerksunternehmers, des Fabrikunternehmers, sodann das Reichskraftfahr-
zeuggesetz von 1909 zu Lasten des Halters eines Kraftfahrzeuges bestimmt (die
Fälle höherer Gewalt sind von der Haftung ausgenommen). Voraussichtlich wird
für die Luftschiffahrt Ähnliches gesetzlich bestimmt werden. Auch das bürgerliche
Gesetzbuch folgt dem Gefährdungsprinzip in seinen Vorschriften über die Haf-
tung für Tierschaden. Wer ein Tier hält (d. h. zum eignen Nutzen dauernd un-
terhält), der sog. Tierhalter (nicht, wie nach römischem Recht, der Tiereigentümer
als solcher), haftet für den von dem Tier durch Verletzung eines Menschen oder
einer Sache zugefügten Schaden ohne die Möglichkeit, durch Ausantwortung
des Tieres an den Geschädigten (wie nach römischem Recht) sich zu befreien,
und ohne Rücksicht auf Verschulden: die Gefährdung anderer, die in dem
Halten eines Tieres als solchem liegt, verpflichtet den Tierhalter. Zwar ist
durch Reichsgesetz von 1908 im Interesse derer, die Tiere zu halten genötigt
sind, eine Milderung eingetreten: wenn ein Haustier schädigt, welches dem
Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen be-
stimmt ist, so ist der Tierhalter frei, wenn er beweist, daß er bei der Beauf-
sichtigung des Tieres die erforderliche Sorgfalt beobachtet hat, oder daß der
Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Im
“übrigen aber (wenn es sich z. B. nicht um ein Haustier, sondern um ein wildes
Tier handelt, oder wenn das Haustier lediglich um des Vergnügens oder des
Luxus willen gehalten wird) bleibt es bei der strengen Gefährdungshaftung
(BGB. 8833). Der gleiche Gedanke liegt der Wildschadenshaftung zugrunde ($ 835).
Aber alle diese Fälle sind Ausnahmen. Im allgemeinen bleibt für das
Schuldrecht des bürgerlichen Gesetzbuchs der Grundsatz maßgebend, daß das
Schuldverhältnis in der Regel entweder aus dem Willen des Schuldners (Schuld-
vertrag) oder aus Verschulden hervorgeht.
Über einige Schuldverträge soll insbesondere gehandelt werden.