Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des bürgerlichen Rechts. C. Das Sachenrecht. 117 
geben unmittelbare Machterweiterung und sind darum von gegenwärtigem 
Werte. Sie sind durch ihren Inhalt befriedigt, sind um ihres Daseins willen 
da, tragen nicht jene Sehnsucht nach dem eigenen Untergange in sich, welche 
die Forderungsrechte und im wesentlichen ebenso die dinglichen Verschaffungs- 
rechte kennzeichnet. Sie besitzen ihren Gegenstand und genießen den Augen- 
blick. Sie sind der Zweck des Vermögensrechts und des Vermögensverkehrs. 
II. Fahrnis und Liegenschaft. Das frühere gemeine deutsche Sachen- 
recht beruhte auf dem römischen Recht des Corpus Juris, das sachenrechtlich 
keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Arten der Sachen machte. 
Für das Eigentum am Grundstück galt das gleiche Recht wie für das Eigentum 
an einem Stück Löschpapier. 
Das mittelalterliche deutsche Recht hatte einen anderen Standpunkt. In Mittelalterliches 
den Zeiten der Naturalwirtschaft spielt der Grundbesitz selbstverständlich Sachenrecht: 
eine ganz andere Rolle als die Fahrnis. Der Grundbesitz ist alles, Fahrnis ist 
nichts. Der Grundbesitz ernährt den Mann; fahrende Habe kann in der Haupt- 
sache nur als Ausstattung des Grundstücks in Frage kommen. So ist im deut- 
schen Mittelalter das Grundstück der Aristokrat unter den Sachen. Der Grund- 
besitz ist privatrechtlich privilegiert. Er hat sein besonderes Sachenrecht. 
Das Liegenschaftsrecht ist viel höher entwickelt, als das Fahrnisrecht. Die 
verschiedensten rechtlichen Herrschaftsformen über das Grundstück kommen 
zur Ausbildung, während an Fahrnis in der Hauptsache nur Eigentum möglich 
ist. Die ganze öffentlichrechtliche Geschichte des Mittelalters spiegelt in der 
Ausgestaltung des Liegenschaftsrechts sich wider. Neben dem Eigentum am 
Grundstück entwickelt sich das Lehnrecht des Rittermanns, das bäuerliche 
Leiherecht, das städtische Leiherecht, das Leibzuchtsrecht, das Satzungsrecht, 
die Reallast usf. Das Fahrnisrecht des Mittelalters ist arm im Vergleich mit 
dem Liegenschaftsrecht. 
So hat denn auch das Mittelalter für den Grundbesitz besondere Verkehrs- 
formen ausgebildet. Der Fahrnisverkehr vollzieht sich durch unfeierliche, der 
Grundbesitzverkehr durch feierliche Besitzübergabe. Fahrnis geht ohne weitere 
Umstände von Hand zu Hand; bei Grundbesitzübertragung aber muß mit 
allen Glocken geläutet werden. Die feierliche Übergabe des Grundstücks heißt 
in der deutschen Rechtssprache Gewere, lateinisch ‚‚investitura‘‘, wörtlich: 
Bekleidung (mit dem Grundstück). Erwerb eines Grundstücks macht zum 
„bekleideten‘' Mann; der Grundbesitzlose ist ein unbekleideter Ohnehosen- 
mann. Die Form der Investitur bestand ursprünglich in Zuziehung von Zeugen 
und der Vornahme von symbolischen Handlungen auf dem Grundstücke. Seit 
dem 12. Jahrhundert ist die gerichtliche Investitur (die gerichtliche ‚Auf- 
lassung‘‘), eine symbolische Übergabe des Grundstücks vor Gericht, die regel- 
mäßige Veräußerungsform geworden, aus der dann die heutige Auflassung, 
überhaupt der Grundbuchverkehr geschichtlich hervorgegangen ist. Die ge- 
richtliche Investitur ward im Gerichtsbuch (in den Städten im Stadtbuch), 
also in einem öffentlichen Buch, beurkundet, und der Beurkundungsakt, der
	        
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