Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des bürgerlichen Rechts. D. Das Familienrecht. 127 
die Trauung war väterliche (vormundschaftliche) Trauung im Kreise der Ver- 
wandten. Erst mit der Trauung begann die Ehe, wenngleich die Verlobung 
bereits die rechtsgültige Erklärung des Eheschließungswillens bedeutete. Am 
Tage nach der Trauung folgte der Kirchgang des jungen Paares: zur Braut- 
messe. Die Kirche war nicht an der Schließung der Ehe, sondern nur an dem 
Dankgottesdienst für die geschlossene Ehe beteiligt. Seit etwa 1100 vollzog 
sich eine doppelte Änderung. Die Trauung fand vor der Kirchentür statt, so 
daß der Kirchgang unmittelbar auf die Trauung folgte. Noch mehr: Verlobung 
und Trauung wurden unter den Brautleuten selber geschlossen. Die väterliche 
Eheschließungsgewalt war verblaßt. Die Braut erhielt nunmehr das Handgeld 
(den Brautring) und das Wittum. Die Brautleute trauten sich gegenseitig (über- 
gaben sich einander) durch einen freigewählten Dritten. Die Regel war, daß 
der Geistliche zum Trauenden erwählt ward: er gab, sprach die Brautleute zu- 
sammen im Namen Gottes. Die Trauung durch den Geistlichen ist die kirch- 
liche Trauung. Sie. ist aus dem religiösen Bedürfnis des Volkes durch freie 
Übung hervorgegangen. Sie blieb zunächst noch vor der Kirchentür, da sie 
eine weltliche Rechtshandlung bedeutete. Erst nachdem der Geistliche draußen, 
vor der Tür, getraut hatte, zog der Hochzeitszug in die Kirche, damit vor dem 
Altar die eigentlich geistliche Handlung, die Brautmesse mit Segnung des jungen 
Ehepaares, folgte. Erst im 16. Jahrhundert ist die ganze Handlung, die Trau- 
ung mit dem Gottesdienst, in die Kirche verlegt und damit die endgültige Ge- 
stalt der kirchlichen Trauung geschaffen worden. 
Die Gesetzgebung der Kirche selber legte noch während des ganzen Mittel- 
alters auf die kirchliche Trauung als solche nicht das entscheidende Gewicht. 
Sie knüpfte an die Handlung der Erklärung des Eheschließungswillens, d.h. 
an die deutsche Verlobung an. Nach kanonischem Recht kam die Ehe schon 
durch das Verlöbnis, d.h. durch die Erklärung des Eheschließungswillens zu- 
stande, wenn nur die Erklärung auf bereits gegenwärtiges Sichzurehenehmen 
gerichtet war (sponsalia de praesenti). Die bloßen Worte gegenwärtigen Ehe- 
schlusses sollten bereits vor Gott die unlösliche, sakramentale Ehe hervor- 
bringen, auch wenn dem Worte keine tätliche Vollziehung der Ehe gefolgt war. 
Die ‚heimliche‘, d.h. unvollzogene, durch bloße, wenn auch flüchtige Worte 
geschlossene, von den Beteiligten vielleicht längst vergessene ‚Ehe‘‘ ward eine 
Gefahr für jede bestehende Ehe. Die tatsächlich vollzogene Ehe ward durch 
die kirchliche Obrigkeit getrennt, wenn sich herausstellte, daß früher mit einem 
anderen Teil die verhängnisvollen Eheworte gewechselt waren. Auch hier hatte 
die Kirche den Bogen überspannt, indem sie die sittliche Verpflichtungskraft 
eines gegebenen Wortes ohne Einschränkung in Rechtskraft verwandelte. 
Die Kirche mußte selber zur Reform ihres Eherechts schreiten. Die katho- 
lische Kirche tat es im 16. Jahrhundert durch die Schlüsse des tridentinischen 
Konzils. Sie blieb dabei, daß die Erklärung des gegenwärtigen Eheschließungs- 
willens durch die Brautleute selber, nicht die Handlung des Geistlichen (die Trau- 
ung) das Sakrament der Ehe hervorbringt; aber die Erklärung muß überall 
da, wo das Tridentinum publiziert ist, um gültig zu sein, in Gegenwart des zu- 
Kirchliche 
Trauung. 
F.heschließungs- 
fornı des kanc- 
nischen Rechtes. 
Tridentinische 
Eheschließungs- 
form.
	        
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