Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Protestantische 
kirchliche 
Trauung. 
128 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht. 
ständigen Pfarrers und zweier Zeugen abgegeben worden sein. Es genügt die 
„passive Assistenz‘‘ seitens des Geistlichen; das segnende Handeln des Geist- 
lichen ist rechtlich nicht notwendig. Durch die Gesetzgebung Pius’ X. ist die 
Notwendigkeit der tridentinischen Form für alle in Deutschland unter Katho- 
liken geschlossenen Ehen (ohne Rücksicht auf Publikation des Tridentinum) 
bestimmt worden (1906), andererseits (1907) die tridentinische Formvorschrift 
sachgemäß fortgebildet: der Geistliche muß zur Entgegennahme der Ehe- 
schließungserklärung auf Bitte bereit sein und den Ehekonsens erfragen, 
sodaß der katholische Priester nicht mehr von dem Brautpaar mit der Ehe- 
schließungserklärung überfallen und überrascht werden kann. Für den Katho- 
liken sind diese kirchlichen Eheschließungsvorschriften religiös verbindlich, 
wie auch die staatliche Gesetzgebung sei. 
In der protestantischen Kirche ist dieEntwickelung eine langsamere ge- 
wesen. Die Rechtskraft der bloßen Erklärung des Ehewillens (des Verlöb- 
nisses) ward erst im Lauf des 17. Jahrhunderts gewohnheitsrechtlich beseitigt. 
Seit dem 18. Jahrhundert wird nach protestantischem Recht die Ehe durch 
die zweite Handlung des deutschen Rechtes, die Trauung, und zwar durch die 
kirchliche Trauung, d.h. durch die auf Grund der Ehewillenserklärung der 
Brautleute erfolgende Handlung des Geistlichen (Zusammensprechen, Seg- 
nung) geschlossen. Die protestantische kirchliche Trauung stellte, deutsch- 
rechtlich angesehen, eine Eheschließung wirklich durch Trauung (die Handlung 
des Geistlichen), die katholische „kirchliche Trauung‘ eine Eheschließung 
durch auf die Gegenwart gerichtetes Verlöbnis (die Handlung der Brautleute) 
dar. In beiden Kirchen aber war der Eheschluß mit religiösen Feierlichkeiten 
umgeben: die Ehe sollte eine christliche Ehe sein. 
Das Schwergewicht der Ehegesetzgebung fällt zu allen Zeiten auf die Rechts- 
sätze von der Ehescheidung. Die christliche Ehe will und soll eine unlösliche 
Ehe sein. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. In 
der Unlöslichkeit der Ehe liegt ihre erzieherische Macht, zugleich die feste Grund- 
lage für das Dasein der Familie, die Entwickelung der Kinder. Die katholische 
Kirche hat auch hier das christliche Ideal durch das Mittel rechtlicher Gesetz- 
Unlöslichkeit der gebung zu verwirklichen unternommen. Nach dem kanonischen, d.h. dem 
Ehe nach kano- 
nischem Recht. 
- Ehescheidung 
nach protestan- 
tischem Recht. 
christlichen Eherecht der katholischen Kirche ist die gültige durch fleischliche 
Gemeinschaft vollzogene Ehe nur durch den Tod lösbar. Es gibt keine Ehe- 
scheidung. Selbst wegen Ehebruchs wird nicht geschieden, sondern nur dauernde 
Trennung von Tisch und Bett gewährt: Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft 
ohne Aufhebung des ehelichen Bandes (kein Teil kann sich anderweitig ver- 
heiraten). Die protestantische Kirche folgte dem Schriftwort und gewährte 
Scheidung wegen Ehebruchs und böslicher Verlassung. Die Entwickelung 
drängte dann bald dazu, dem Begriff des Ehebruchs und der böslichen Ver- 
lassung eine weitere als die bloß wörtliche Auslegung zu geben. Im Grundsatz 
aber blieb die protestantische Kirche auf dem Boden der ‚schriftgemäßen“ 
Scheidungsgründe. Auch die protestantische Kirche vertrat den Gedanken des 
„christlichen‘‘ Eherechts.
	        
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