Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des bürgerlichen Rechts. D. Das Familienrecht. 133 
III Die Ehescheidung. Auch das Ehescheidungsrecht des bürger- Scheidungs- 
lichen Gesetzbuchs weist den Einfluß der neuen Gedanken auf. Zwar ist der ""“ 
Grundsatz festgehalten, daß, außer in schweren Fällen der Geisteskrankheit, 
die Ehe nur wegen Verschuldens geschieden werden kann. Aber der Gesetz- 
geber hat es vermieden, die Scheidung auf genau bestimmte Verschuldungs- 
fälle zu beschränken. Ehebruch, Lebensnachstellung, böswillige Verlassung er- 
zeugen für den unschuldigen Teil schlechtweg das Recht auf Scheidung (sog. 
absolute Scheidungsgründe). Daneben aber gilt der Satz, daß Scheidung in 
allen Fällen begehrt werden kann, wo schwere Verletzung der durch die Ehe 
begründeten Pflichten oder ehrloses, unsittliches Verhalten im gegebenen Fall 
eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Lebens verschuldet hat, daß dem anderen 
Eheteile die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann (sog. relative 
Scheidungsgründe). Scheidung ist also möglich, wenn die Ehe im weitesten Scheidungsklage. 
Sinne des Wortes gebrochen ist. Der unschuldige Teil ist berechtigt, gegen den 
schuldigen (bzw. gegen den schwer Geisteskranken) die Scheidungsklage zu er- 
heben. Die Scheidung erfolgt durch gerichtliches Urteil. Die im protestan- 
tischen gemeinen Eherecht ausgebildete Scheidung durch den Landesherrn und 
ebenso die nach kanonischem Recht für die tatsächlich noch nicht vollzogene 
Ehe (matrimonium non consummatum) mögliche Scheidung durch päpstlichen 
Dispens ist durch das bürgerliche Gesetzbuch beseitigt worden. 
Der scheidungsberechtigte Ehegatte kann statt auf Scheidung auch auf Aufbebung der 
bloße Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft klagen. In dieser Form ist um FRuiSRFoER 
der Katholiken willen ein Seitenstück zu der separatio perpetua des kanonischen 
Rechtes (der dauernden Trennung von Tisch und Bett) in das bürgerliche Recht 
aufgenommen worden. Aber diese ‚Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft‘ 
ist dennoch im Wesen von der kanonischen separatio verschieden. Sie ist 
Scheidung, Aufhebung des ehelichen Bandes: die beiden Teile sind nicht mehr 
miteinander verheiratet. Es gelten infolgedessen Kinder, welche die Frau, mit 
der die ‚eheliche Gemeinschaft aufgehoben‘ ist, jetzt etwa von einem anderen 
empfängt, nicht mehr (wie nach kanonischem Recht) von Rechts wegen als 
Kinder des Mannes, mit dem sie früher verheiratet war. Aber die Scheidung 
ist keine endgültige. Sie besteht nur bis auf weiteres: so lange, bis die durch 
Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft Getrennten tatsächlich ihre Ehe wieder- 
herstellen. Die Wiederherstellung der Ehe ist in jedem Augenblicke durch Neu- 
beginn ehelichen Gemeinlebens möglich. Dann erlischt die Wirkung des Auf- 
hebungsurteils. Einer neuen Eheschließung bedarf es nicht. Um dieser Mög- 
lichkeit willen besteht nach wie vor für beide Teile die Unmöglichkeit ander- 
weitiger Wiederverheiratung (insofern wirkt die Aufhebung der kanonischen 
separatio perpetua gleich). Der Gedanke aber, daß das ‚Band der Ehe‘' zwischen 
denen rechtlich fortbestehe, die sich gegenseitig (solange die Aufhebung der 
ehelichen Gemeinschaft wirksam ist) jede eheliche Gemeinschaft zu verweigern 
berechtigt sind, ist mit Recht vom bürgerlichen Gesetzbuch aufgegeben worden. 
So kann denn auch nach bürgerlichem Recht im Falle der Aufhebung der ehe- 
lichen Gemeinschaft von jedem der Getrennten in jedem Augenblick die Ver-
	        
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