Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Der Kaufmanns 
begrifl. 
162 KARL GAREIS: Handels- und Wechselrecht. 
nicht bloß eine deklaratorische, sondern eine konstitutive Bedeutung zukommt. 
Konstitutive Bedeutung aber kommt den öffentlichen Registrierungen immer 
dann zu, wenn durch sie etwas vorher noch nicht Vorhandenes geschaffen wird, 
wie dies z. B. bei der Aktiengesellschaft der Fall ist, die vor der Eintragung in 
das Register überhaupt noch nicht als Aktiengesellschaft besteht. Eine derartige 
Entstehung einer Gesellschaft oder eines Vereins entspricht dem modernen 
Rechtsstaate: der Gesetzgeber setzt die Bedingungen fest, nach deren Erfüllung 
die Eintragung erfolgen darf, aber auch muß, und der Richter hat nur zu prüfen, 
ob diese Bedingungen erfüllt sind oder nicht, und danach die Eintragung zu 
vollziehen oder nicht. 
III. Der Kaufmann. Es ist vorhin (S. 158) darauf hingewiesen worden, 
daß das Handelsrecht in vielen Beziehungen bahnbrechend für den Fortschritt 
des gesamten bürgerlichen Rechtes ist: der gewöhnliche bürgerliche Rechts- 
verkehr nimmt Regeln an, die zuerst auf dem Gebiete des Handels entstanden 
sind. Dies ist eine allgemeine Kulturwahrnehmung. Haben die so in den ge- 
wöhnlichen bürgerlichen Verkehr herübergenommenen Regeln einen spezifisch 
handelsrechtlichen Charakter, verleugnen sie ihren merkantilen Ursprung nicht, 
so kann man in jenen Übernahmefällen von einer „Kommerzialisierung‘‘ des 
bürgerlichen Verkehrs sprechen; eine solche Kommerzialisierung liegt ganz 
besonders aber dann vor, wenn vom Gesetzgeber bewußtermaßen Rechts- 
erscheinungen und -verhältnisse, die an sich mit dem Kaufmannsbegriffe und 
mit dem Handelsrechte nichts zu tun haben, in jenen Begriff gezwängt und dem 
Geltungsbereiche des letzteren Rechtes einverleibt werden. Diese Tendenz, 
welche über die kulturgeschichtliche Pionieraufgabe des Handelsrechts hinaus- 
gehen kann, ist gegenwärtig in vielen Gesetzgebungen wahrzunehmen; zum Teil 
hat sie gewiß ihren Grund nur in dem Streben nach abgekürzter Fassung der 
Gesetze; stilistisch bedeutet sie eine Erweiterung des Kaufmannsbegriffs und 
des analogen Begriffs der Handelsgesellschaft: anstatt aufzuzählen, welche im 
Handelsgesetzbuch aufgestellte Vorschriften auch auf Erwerbs- und Wirtschafts- 
genossenschaften, auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung, auf Aktien- 
gesellschaften, die keine Handelsgeschäfte betreiben, anwendbar sein sollen, 
sagt der Gesetzgeber schlankweg: diese Gesellschaften gelten als Kaufleute im 
Sinne des Handelsgesetzbuchs. Die Wirkung ist dann aber doch die, daß der 
Kaufmannsbegriff über den Handelsbegriff hinaus erweitert und dadurch so 
verflüchtigt wird, daß er nicht mehr materiell, sondern nur mehr formell faßbar 
wird: es entsteht dann ein Kaufmannsbegriff, der auch solche Personen umfaßt, 
die dem Gegenstand ihrer Beschäftigung nach keine Kaufleute sind, weil sie 
nicht Handel treiben (s. oben S. 160ff.), ein formaler Kaufmannsbegriff oder der 
Begriff des Formkaufmanns. Das neue deutsche Recht gelangt zu diesem Be- 
griffe dadurch, daß es ein gewerbliches Unternehmen, z. B. eine Ziegelei oder 
Tonwarenfabrik, oder ein ähnliches, dem Gegenstande nach nicht kaufmännisches 
Unternehmen als Handelsgewerbe erklärt, wenn es nach Art und Umfang einen 
in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (nämlich:
	        
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