VI. Die Handelsgeschäfte. 169
„Schuldrechts im allgemeinen‘ anders geregelt als durch das gewöhnliche bürger-
liche Recht, — auch ganz abgesehen von den besonderen Rechtsinstituten des
Handelsobligationenrechts; für einen Teil von Rechtsgeschäften des Handels-
verkehrs, z. B. das Vinkulationsgeschäft, der Schrankfachvertrag, das Illations-
geschäft u. a. ist zur juristischen Konstruktion der Typus der gemischten Ver-
träge, Kombinations- oder doppeltypischen Verträge, auf welchen man erst in
neuester Zeit aufmerksam geworden ist, heranzuziehen.
I. Kaufmännische Obligos sind schärfer als nichtkaufmännische Verbind-
lichkeiten: die vertragsmäßig anzuwendende Sorgfalt ist meist größer, oder
wenigstens eigenartig, die von einem Kaufmann im Handel versprochene Kon-
ventionalstrafeistrichterlicher Minderung nicht unterworfen, dem kaufmännischen
Bürgen steht die Einrede der Vorausklage nicht zu, Bürgschaft, Schuldver-
sprechen und Schuldanerkenntnis sind gegen den Kaufmann, der diese Obligos
abgab, gültig, auch wenn die bürgerlich-rechtlich vorgeschriebene Form nicht
gewahrt ist (— in diesen letzteren Richtungen wird aber der Kaufmann min-
deren Rechtes nicht als Kaufmann behandelt —). Der Zinsfuß ist im Handel
höher, gesetzliche Zinsen (einschließlich der Verzugszinsen), bei beiderseitigen
Handelsgeschäften nämlich, während sie nach allgemeinem deutschen bürger-
lichen Rechte 4°/,, betragen, 5°/,, im Wechselregreß sogar 6°/,, Zinsen laufen
unter Kaufleuten auch ohne Verabredung, Kaufleute können — auch von Nicht-
kaufleuten — Provision fordern, das Verbot des Anatozismus hat auf Saldo-
vorträge keine Anwendung u. dgl.
2. Der Gedanke, daß der neue gutgläubige Erwerb auf Kosten des älteren
guten Rechtes, daß der umsetzende Verkehr auf Kosten des ruhigen Behaltens,
daß der sich als ‚‚legitimiert‘‘ Ausweisende vor dem sonst sich als Berechtigter
Zeigenden zu schützen sei, ist zwar dem modernen bürgerlichen Rechte durchaus
nicht unbekannt (s. oben Sohm unter ‚Legitimation‘ S. 94f.), aber im Handels-
recht in viel weiterem Maße zur Geltung gebracht: veräußert oder verpfändet
ein Kaufmann im Betriebe seines Handelsgewerbes eine ihm nicht gehörende
Ware, so kann der gutgläubige Erwerber vom Nichteigentümer auch dann
Eigentum bzw. Pfandrecht erwerben, wenn‘ der gute Glaube des Erwerbers in
der Annahme der Veräußerungs- bzw. Verpfändungsbefugnis (nicht gerade des
Eigentums) auf seiten des Veräußerers oder Verpfänders besteht usw.
3. Zu denjenigen Gegenständen, welche am häufigsten bei Erfüllung von
handelsrechtlichen Verbindlichkeiten zu liefern sind, gehören die Waren. Ware
im weitesten Sinne ist alles Umsatzfähige, also z. B. auch das Recht der Ver-
vielfältigung und Verbreitung eines literarischen Werkes; — ein solches Recht
pflegt den Gegenstand eines Verlagsvertrages zu bilden, der dem Handelsrecht
und dem besonderen Verlagsrecht unterstellt ist, Im engeren Sinne ist Ware
ein Wertträger, zunächst ein materieller Wertträger (Ware im allerengsten
Sinne), wo der Wert in der stofflichen Substanz liegt, wie bei Getreide, Drogen
usw., oder ein formeller (idealer) Wertträger, wobei der Wert in der Form oder
Idee liegt, nicht im Stoffe; bei letzterer Art sind Forderungsrechte in Urkunden
gelegt, dergestalt, daß die Forderungsrechte in den Urkunden gewissermaßen
Rein kauf-
e Ver-
pflichtungen.
Eigentum vom
Nichteigner.
Waren,
„Eflekten‘‘,
Elektrizität.