Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Widerlegung der 
Statutentheorie 
durch Wächter; 
dessen Theorie. 
Theorie 
Savygnis. 
Fortbildung und 
Berichtigung der 
Theorie 
Savignys. 
Die neue 
italienisch- 
französische 
Theorie. 
186 Lupwic von Bar: Internationales Privatrecht. 
Gleichwohl darf man nicht verkennen, daß in Einzelheiten Theorie und Praxis, 
des irrigen Grundprinzips ungeachtet, oft instinktiv die richtige Entscheidung 
trafen. 
Die Statutentheorie wurde noch Ende des 18. und Anfang des 19. Jahr- 
hunderts von den Gesetzgebungen prinzipiell sanktioniert, so im preußischen 
allgemeinen Landrecht, im französischen Code civil, im österreichischen bürger- 
lichen Gesetzbuche von 1811, freilich in so allgemeiner und unbestimmter 
Fassung, daß die Entwickelung richtiger Grundsätze nur wenig gehindert wurde. 
Die eingehende Widerlegung der Statutentheorie verdanken wir Wächter 
(1841/42). Über die internationale Anwendung der Gesetze sollte nach Wächters 
Darlegung vielmehr Geist und Sinn der Gesetze entscheiden, im Zweifel das 
Gesetz des urteilenden Richters. Aber Wächters Kritik war wesentlich negativ; 
sie verkannte, daß die Tradition trotz unrichtiger Begründung doch oft richtig 
entschieden hatte; die Berufung auf Geist und Sinn der Gesetze war zu un- 
bestimmt und einer zu verschiedenen Deutung und Anwendung fähig, um be- 
friedigen zu können, und daß das internationale Privatrecht auch das Völker- 
recht mitberührt und auf dasselbe Rücksicht zu nehmen hat, war Wächter 
entgangen. 
Daher hat denn Savignys Theorie (1849), die positiv verfahrend das 
internationale Privatrecht auf eine internationale Rechtsgemeinschaft (Rechts- 
ordnung) gründet und für jedes Rechtsverhältnis dessen (territorialen) Sitz 
aufsucht und danach die Anwendung der Gesetze bestimmen will, eine weit 
größere Anerkennung und Beachtung, letztere wohl in der gesamten Kultur- 
welt, gefunden, und um so mehr, als die vorherrschend von Wächter betonte 
Entscheidung nach dem Gesetze des urteilenden Gerichts von Savigny mit 
Recht abgelehnt wird; denn der Umstand, ob ein Gericht des Staates A oder 
des Staates B zu entscheiden hat, hängt sehr oft vom Zufall ab. 
Abgesehen indes davon, daß Savigny, obschon eines der Häupter der 
s. g. historischen Schule, ebensowenig wie Wächter die geschichtliche 
Entwickelung des internationalen Privatrechts würdigte, die sich seit den 
Zeiten der Postglossatoren vollzogen hat, abgesehen auch von mannigfachen 
irrigen Schlußfolgerungen aus bloßen Worten — wie z.B. aus dem Worte 
Status — ist das eigentlich maßgebende Prinzip, die Zuständigkeitsgrenze der 
einzelnen Rechtssätze in internationaler Beziehung nach der ‚Natur der Sache‘, 
d. h. nach dem immanenten Zwecke der Gesetze mit Rücksicht auf die Bedürf- 
nisse des Verkehrs zu ermitteln, unter Berücksichtigung auch der völkerrecht- 
lichen Schranken, die dem Machtbereiche der einzelnen Gesetzgebungen ge- 
setzt sind, erst in der auf Savigny folgenden Literatur erkannt worden, die zu- 
gleich in der genaueren Ausführung der Einzelheiten wie in der vergleichenden 
Rechtswissenschaft für die Wissenschaft des internationalen Privatrechts be- 
sonders notwendige, von Savigny noch nicht berücksichtigte Kontrollen erblickt. 
Eine andere neuere von dem italienischen Juristen und Staatsmann Mancini 
begründete Theorie, die in Italien, aber auch in Frankreich viele Anhänger zählt, 
geht von dem Satze aus, daß alle Rechte der Personen wegen vorhanden sind,
	        
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