ZIVILPROZESSRECHT.
VoN
LOTHAR VON SEUFFERT.
Einleitung.
I. Die Grundbegriffe. Zivilprozeß ist.das gerichtliche Verfahren zum
Schutze des verletzten oder gefährdeten Privatrechts.
Re sschutz- Aus den Normen des Privatrechts entstehen Rechtsverhältnisse und sub-
“ jektive Rechte. Jedes subjektive Recht enthält die Befugnis zur Geltend-
machung des Willens des Berechtigten gegenüber anderen Personen. Stößt der
Berechtigte bei Ausübung seines Rechtes auf Hindernisse oder wird sein Recht
durch das Verhalten einer anderen Person gefährdet, so entsteht das Bedürfnis,
das subjektive Recht zu schützen und zu verwirklichen. Bei allen Völkern hat
es eine Zeit gegeben, in der der Schutz des subjektiven Rechtes lediglich durch
Selbsthilfe erfolgte. In dieser Zeit ist es dem Berechtigten überlassen, aus eigener
Kraft oder mit Hilfe seiner Sippe sein Recht zu schützen. Bei voranschrei-
tender Kultur entstehen staatliche Einrichtungen zum Schutze des Privat-
rechts. Hand in Hand mit der Ausbildung solcher Einrichtungen geht die
Zurückdrängung der Selbsthilfe. Im modernen Staat ist die Selbsthilfe nur
erlaubt zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs; angriffsweise
Selbsthilfe aber nur, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist
oder wenn ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, daß die Verwirklichung
des Rechtes vereitelt oder wesentlich erschwert würde.
Gerichtsbarkeit. Die zur Gewährung des Rechtsschutzes bestellten Behörden heißt man Ge-
richte. Die Befugnis, Gericht zu halten oder Behörden zur Gewährung des
Rechtsschutzes zu bestellen, bezeichnet man als Gerichtsbarkeit. Die Gerichts-
barkeit ist ein Hoheitsrecht. In früheren Zeiten hat der Staat die Ausübung
dieses Rechtes teilweise an Verbände und an Privatpersonen überlassen. Der
moderne Staat nimmt die Gerichtsbarkeit ganz und gar für sich in Anspruch.
Regeln des Über die Art und Weise, wie die Gerichte bei der Gewährung des Rechts-
ni schutzes zu verfahren haben, bilden sich allmählich bestimmte Regeln. Ebenso
darüber, was der Rechtsschutzbedürftige zu tun hat, um den Rechtsschutz zu
erlangen, sowie darüber, was der Gegner zu tun hat, um sich gegen das Rechts-
schutzbegehren zu verteidigen. Die Ausbildung dieser Regeln erfolgt zuerst
auf dem Wege der erstarrenden Gewohnheit, später durch Satzung. Den Inbe-