Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des Zivilprozeßrechts. I. Die Gerichte. 205 
Territorien auch nach deren Lostrennung von Frankreich in Geltung geblieben. 
Die Anlehnung an das französische Prozeßgesetz, das auch für die Prozeßgesetze 
verschiedener schweizer Kantone, Belgiens und Italiens vorbildlich geworden 
ist, bedeutete für Deutschland zwar einen Bruch mit der bisherigen Entwicklung, 
aber auch in manchen Punkten eine Rückkehr zum germanischen Recht und 
jedenfalls eine sehr wesentliche Verbesserung des Rechtszustandes im Vergleiche 
mit dem gemeinen deutschen Recht. 
Einheit auf dem Gebiete des Prozeßrechts wurde für Deutschland geschaffen Reichs-Zivil- 
durch die am ı. Oktober 1879 in Geltung getretene Zivilprozeßordnung für das P**#rdnune. 
Deutsche Reich vom 30. Januar 1877. Die Vorarbeiten zur Vereinheitlichung 
des deutschen Prozeßrechts begannen unter den Auspizien des Deutschen 
Bundestages im Jahre 1862. Bei den Vorarbeiten wurden das französische Recht 
und die Partikulargesetze herangezogen; insbesondere spielte die Hannoversche 
Prozeßordnung von 1850 eine einflußreiche Rolle. Auf diese Weise ist das fran- 
zösische Prozeßgesetz auch für die deutsche Prozeßordnung in vielen Dingen 
vorbildlich geworden. Aus Anlaß der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuchs 
für das Deutsche Reich wurde die Prozeßordnung von 1877 einer Umarbeitung 
unterzogen. Ihre neue Fassung beruht auf dem Gesetze vom 17. Mai 1808. 
Die neue Redaktion wurde durch Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 veröffent- 
licht. Die neue Fassung ist am I. Januar 1900 in Geltung getreten. Seitdem 
sind durch die Reichsgesetze vom 5. Juni 1905, vom I. Juni I9Og und vom 
22. Mai I9IO wieder viele neue Vorschriften eingeführt worden, durch die die 
Rechtsmittel der Revision und der Beschwerde beschränkt, sowie das Verfahren 
vor den Amtsgerichten und das Mahnverfahren geändert worden sind. 
Als Ergänzungsgesetze zur Zivilprozeßordnung kommen in Betracht das 
Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877, die Konkursordnung vom 
10. Februar 1877 in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898 und 
das Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung vom 24. März 
1897. 
System des Zivilprozeßrechts. 
I. Die Gerichte. Die Gerichte zerfallen in die ordentlichen und die Ordentliche una 
besonderen Gerichte. Ordentliche Gerichte sind in Deutschland die Amts- Teure 
gerichte, die Landgerichte, die Oberlandesgerichte, das Reichsgericht und das 
in gewissen Prozessen an dessen Stelle tretende bayerische oberste Landesgericht. 
Innerhalb der Landgerichte können für Handelssachen besondere Abteilungen 
(Kammern für Handelssachen) errichtet werden. Als besondere Gerichte sind 
durch Reichsgesetze die Gewerbegerichte und die Kaufmannsgerichte eingeführt. 
Durch Landesgesetz können noch andere besondere Gerichte für Streitigkeiten 
gewisser Art errichtet werden (Ger.Verf.Ges. $ 14 Nr. 1, 2). 
Von den ordentlichen Gerichten sind die Amtsgerichte als Einzelgerichte, 
alle anderen als Kollegialgerichte organisiert. Das Kollegium besteht bei den 
Landgerichten aus drei, bei den Oberlandesgerichten aus fünf, bei dem Reichs-
	        
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