Rechtshängig-
keit.
Mündliche
Verhandlung.
2IO LOTHAR VON SEUFFERT: Zivilprozeßrecht.
Erhebung der Klage erfolgt im Anwalts- wie im Parteiprozesse erst durch die
Zustellung.
Die Widerklage, d.i. eine Klage des Beklagten gegen den Kläger, wird
durch mündlichen Vortrag im Verhandlungstermin erhoben. Die Zulässigkeit
einer Widerklage hängt davon ab, daß zwischen der Klage und der Widerklage
ein rechtlicher Zusammenhang besteht und daß nicht für die Widerklage die
ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründet ist. Auch son-
stige Klagen, die im Laufe eines anhängigen Prozesses als Erweiterungen der
Klage oder als Änderungen der ursprünglichen Klage vorgebracht werden,
werden durch mündlichen Vortrag erhoben.
Mit Erhebung der Klage tritt Rechtshängigkeit des geltend gemachten An-
spruchs ein. Die Rechtshängigkeit hat materiellrechtliche und prozeßrechtliche
Wirkungen. Materiellrechtliche Wirkungen sind insbesondere die Unterbrechung
der Verjährung und der Ersitzung, die Steigerung der Verantwortlichkeit des
Beklagten für den Untergang und die Schädigung der herauszugebenden Sache,
ein Anwachsen der Haftung des Beklagten für Früchte und Nutzungen der
Hauptsache sowie die Vererblichkeit gewisser sonst nicht vererblicher An-
sprüche, z. B. des Anspruchs auf Ersatz eines Schadens, der nicht das Vermögen
betrifft. Prozeßrechtliche Wirkungen sind die Einrede der Rechtshängigkeit,
mit welcher jede der Parteien einem Versuche, dieselbe Sache noch einmal
rechtshängig zu machen, entgegentreten kann, die Fixierung der zur Zeit der
Klageerhebung vorhandenen Zuständigkeit des Gerichts, das (allerdings nicht
unbedingte) Verbot, die Klage ohne Zustimmung des Beklagten zu ändern, und
die Einflußlosigkeit einer nach Eintritt der Rechtshängigkeit erfolgten Über-
tragung des erhobenen Anspruchs sowie einer Veräußerung der im Streit befan-
genen Sache auf den Fortgang des Prozesses.
V. Die Verhandlung. Auf die Klage folgt im modernen Prozeß eine
mündliche Verhandlung der Parteien vor dem erkennenden Gerichte. Die Par-
teien haben ihre Angrifis- und Verteidigungsmittel dem Gerichte mündlich
vorzutragen. Auf Grund des mündlichen Vortrags der Parteien hat das Gericht
zu entscheiden. Die mündliche Verhandlung, die sowohl im germanischen, wie
in dem in Deutschland rezipierten römisch-kanonischen Prozesse stattfand,
war in dem früheren gemeinen deutschen Prozeß und in deutschen Partikular-
rechten, wenn auch nicht allgemein, so doch vielfach verdrängt worden durch
ein schriftliches Verfahren. In diesem Verfahren gaben die Parteien ihre Er-
klärungen in Schriftsätzen ab, die sie bei dem Gericht einreichten. Das Ge-
richt leitete den Schriftenwechsel, indem es zur Einreichung der Schriftsätze
Termine oder Fristen bestimmte, bis nach Ansicht des Gerichts die Sache ge-
nügend erörtert war. Die von einer Partei eingereichten Schriftsätze wurden
der Gegenpartei in Abschrift mitgeteilt. Auf Grund der aus den Urschriften
gebildeten Gerichtsakten wurde die Entscheidung gefällt. In allen seit der Mitte
des 19. Jahrhunderts erlassenen Prozeßgesetzen wurde diese Art des Verfahrens
aufgegeben und die mündliche Verhandlung der Parteien wieder eingeführt.