Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

System des Zivilprozeßrechts. VI. Der Beweis. 215 
des Beweises und des etwaigen Gegenbeweises und die Aufnahme des Beweises. 
Neue Tatsachenbehauptungen und Bestreitungen konnten in diesem Abschnitte 
des Prozesses nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß gegen die mit 
dem Schlusse des ersten Abschnitts eingetretene Ausschließung Wiederein- 
setzung in den vorigen Stand wegen eines gesetzlichen Grundes erteilt wurde. 
Die meisten neueren Prozeßgesetze haben dieses System verlassen. Behaup- 
tungen und Beweisführung sind nicht mehr in getrennte Abschnitte verwiesen, 
sondern sollen miteinander verbunden werden. 
Können die von den Parteien bezeichneten Beweise von dem Gericht ohne 
weiteres entgegengenommen werden, wie das z. B. bei Vorlage von Urkunden 
der Fall ist, so bedarf es überhaupt keiner besonderen Beweisanordnung. Nur 
wenn zur Beschaffung der Beweise eine besondere Tätigkeit des Gerichts er- 
forderlich ist, wie z. B. zur Vernehmung von Zeugen, ist ein Beweisbeschluß 
zu erlassen, worin die Beweisaufnahme angeordnet wird. Dieser Beschluß ist 
für das Gericht nicht bindend, das Gericht kann den Beschluß zurücknehmen; 
es muß nicht die Entscheidung auf Grund der Tatsachen fällen, über die es eine 
Beweisaufnahme angeordnet hat. Der Beweisbeschluß ist kein Hindernis für 
neues Vorbringen der Parteien. Daher kann der Beschluß nicht selbständig 
durch Rechtsmittel angefochten werden. 
Für die Beweisaufnahme gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit. Das er- 
kennende Gericht soll regelmäßig die Beweise nicht durch ein Gerichtsmitglied 
oder ein anderes Gericht aufnehmen lassen, sondern soll sie selbst aufnehmen, 
insbesondere Zeugen und Sachverständige selbst verhören, die Beweisurkunden 
selbst einsehen und die Parteieide selbst abnehmen. Die Unmittelbarkeit bietet 
den Vorteil, daß das Gericht, welches zu erkennen hat, die Beweisaufnahme 
besser leiten und deren Ergebnisse, insbesondere den Wert einer Zeugenaussage 
oder eines Gutachtens, besser beurteilen kann, als wenn die Beweisaufnahme 
durch ein einzelnes Gerichtsmitglied oder ein anderes Gericht besorgt wird. 
Freilich läßt sich die Unmittelbarkeit nicht ohne Ausnahmen durchführen; es 
können tatsächliche Hindernisse entgegenstehen. Für solche Fälle muß dem 
Prozeßgerichte die Befugnis gewahrt werden, die Beweisaufnahme einem beauf- 
tragten oder ersuchten Richter zu übertragen. Ist eine Beweisaufnahme im 
Ausland erforderlich, so hat der Vorsitzende des Prozeßgerichts die ausländische 
Behörde um die Aufnahme des Beweises zu ersuchen; unter Umständen kann 
die Beweisaufnahme auch durch einen deutschen Konsul erfolgen. Sowohl der 
Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht als der Beweisaufnahme vor einem 
beauftragten oder ersuchten Richter dürfen die Parteien beiwohnen. Ihre An- 
wesenheit ist aber nicht erforderlich. 
Beweisbeschluß. 
Beweis- 
aufnahme. 
Als Beweismittel kommen in Betracht Augenschein, Aussagen Von Beweismittel. 
Zeugen, Gutachten von Sachverständigen, Urkunden und Parteieid. 
Unter Augenschein versteht man die durch die Sinnesorgane vermittelte Augenschein. 
Wahrnehmung des Richters. Die Einnahme des Augenscheins kann nicht bloß 
auf Antrag, sondern auch von Amts wegen beschlossen werden. Zur Einnahme 
des Augenscheins kann das Gericht Sachverständige zuziehen.
	        
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