Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Beweis- 
würdigung. 
218 LOTHAR VON SEUFFERT: Zivilprozeßrecht. 
Endentscheidung bildet, ist es anfechtbar wie ein Endurteil. Auf das bedingte 
Urteil folgt das unbedingte Endurteil, in dem die sich aus der Leistung oder 
der Nichtleistung des Eides ergebenden Konsequenzen ausgesprochen werden 
(Läuterungsurteil). Ausnahmsweise kann der Eid durch Beweisbeschluß auf- 
erlegt werden, wenn die Parteien damit einverständen sind, oder wenn er sich 
auf ein einzelnes Angriffs- oder Verteidigungsmittel beschränkt. An Stelle des 
auf einzelne bestrittene Tatsachen beschränkten Schiedseides wurde nach dem 
Vorbilde des englischen Rechtes in der österreichischen Prozeßordnung von 1895 
und in der ungarischen Prozeßordnung von 1911 dem Gerichte die Beeidigung 
der Parteien über ihre eigenen Aussagen gestattet. Danach kann das Gericht 
beschließen, daß die Parteien zunächst unbeeidigt zu vernehmen sind und daß 
eine der Parteien ihre Aussage zu beschwören hat, wenn das Ergebnis der un- 
beeidigten Vernehmung nicht ausreicht. Die Meinungen über die Zweckmäßig- 
keit dieser Neuerung sind geteilt. Meines Erachtens ist diese Neuerung zweck- 
mäßig, weil sie zur Ermittelung des wahren Sachverhalts geeignet ist. 
Die Beurteilung der Beweisergebnisse (Beweiswürdigung) ist Sache 
des Gerichts. Für diese Beurteilung kann das Gesetz Regeln aufstellen, in denen 
bestimmt ist, unter welchen Voraussetzungen das Gericht eine Tatsache als 
erwiesen annehmen darf und annehmen muß; es kann aber auch die Beurteilung 
dem Ermessen des Gerichts überlassen. Im altgermanischen Prozesse waren 
jene Voraussetzungen genau bestimmt. Auch im spätrömischen und im kano- 
nischen Prozesse galten zahlreiche Beweisregeln. Im früheren gemeinen Prozeß- 
rechte war ein ganzes System solcher Regeln aufgebaut worden. Die Festlegung 
der Beweiswürdigung schützt gegen die Gefahr einer willkürlichen oder doch 
subjektiv gefärbten Beurteilung der Beweisergebnisse, bildet jedoch in vielen 
Fällen ein Hindernis bei der Ermittelung der Wahrheit. Sämtliche seit der Mitte 
des 19. Jahrhunderts entstandenen Prozeßgesetze haben die gesetzliche Be- 
weistheorie aufgegeben und die Freiheit der Beweiswürdigung proklamiert. 
Der Richter hat nach seiner subjektiven Überzeugung zu entscheiden, ob eine 
Tatsachenbehauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Einige 
wenige Beweisregeln hat allerdings auch das moderne Recht noch beibehalten. 
Sie betreffen die Urkunden und den Eid. Was in einer öffentlichen Urkunde 
bezeugt ist, muß das Gericht als bewiesen annehmen, solange nicht die Un- 
richtigkeit bewiesen ist. Eine Privaturkunde, die unterschrieben oder mit be- 
glaubigtem Handzeichen unterzeichnet ist, begründet vollen Beweis für die 
Existenz der in der Urkunde enthaltenen Erklärung; was die Erklärung beweist, 
ist eine andere Frage. Die Beweisregeln für Urkunden sollen es den Parteien 
ermöglichen, sich für den Rechtsstreit einen Beweis zu sichern, der dem sub- 
"jektiven Ermessen des Gerichts entrückt ist. In bezug auf den Pateieid gelten 
die Regeln, daß das Gericht als erwiesen annehmen muß, was die Partei be- 
schworen hat, und daß bei Verweigerung des Eides das Gegenteil der zu be- 
schwörenden Tatsache als voll bewiesen gilt. Der Verweigerung des Eides steht 
das Nichterscheinen des Schwurpflichtigen im Eidestermine gleich. Die Be- 
weisregeln über den Parteieid entsprechen nicht bloß der geschichtlichen Ent-
	        
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