Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

230 LOTHAR VON SEUFFERT: Zivilprozeßrecht. 
ein vom Nationalkonvent beschlossenes Gesetz vom 3. Brum. II (24. Oktober 
1793) wurde die große Mehrzahl der Bestimmungen des aus der Zeit LudwigsXIV. 
stammenden Prozeßgesetzes (ordonnance civile von 1667) beseitigt und die 
Vertretungder Parteien durch Rechtsanwälte aufgehoben. Die Folge der Neuerung 
war ein Rechtszustand, dessen Mangelhaftigkeit in kurzer Zeit allgemein als 
unerträglich empfunden wurde. Durch ein Gesetz vom 27. Ventöse VIII (18.März 
1800) wurde das Institut der Rechtsanwaltschaft wiederhergestellt und durch 
einen noch in demselben Jahre ergangenen Konsularbeschluß wurden die alten 
Prozeßgesetze vorläufig , nämlich bis zur Erlassung des in Aussicht genommenen 
neuen Gesetzes, wieder in Kraft gesetzt. In der Tat bietet nur ein detailliertes, 
dem richterlichen Ermessen nicht allzugroßen Spielraum lassendes Prozeßgesetz 
eine genügende Garantie für eine unparteiische Rechtspflege und für die Ver- 
wirklichung des materiellen Rechtes. 
Natürlich hat, wie jedes Menschenwerk, auch die bestehende deutsche 
Zivilprozeßordnung ihre Mängel. In der Detaillierung der Vorschriften ist die 
deutsche Prozeßordnung hier und da über das notwendige Maß herausgegangen. 
So insbesondere in Ansehung der Vorschriften über die Zwangsvollstreckung. 
Wenn es dereinst zu der im deutschen Reichstage schon mehrmals verlangten 
und auch von den verbündeten Regierungen zugesagten Reform der Zivilprozeß- 
ordnung kommt, wird man manches an deren Vorschriften verbessern können. 
Von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit sind einige entbehrlich, nämlich 
die Vorschriften über den Gerichtsstand für Klagen aus Meß- und Marktsachen 
und über den Gerichtsstand für Klagen aus Vermögensverwaltung. — Zu ver- 
einfachen sind die Vorschriften über die Zustellungen. Man sollte nicht bloß 
im Verfahren vor den Amtsgerichten, sondern auch im Verfahren vor den anderen 
Gerichten die Besorgung der Zustellungen den Gerichtsschreibern übertragen 
und auch die Ladungen von Amts wegen vollziehen lassen. Über die Art und 
Weise der Zustellungen braucht nicht so viel, wie in der deutschen Zivilprozeß- 
ordnung steht, in das Gesetz aufgenommen zu werden. Man kann der Justiz- 
verwaltungsbehörde der Bundesstaaten überlassen, instruktionelle Vorschriften 
darüber zu erlassen; die Verletzung solcher Vorschriften soll nicht, wie die Ver- 
letzung der im Gesetze stehenden Vorschriften, die Nichtigkeit der Zustellung 
zur Folge haben, sondern es soll dem Gericht anheimgegeben werden, zu prüfen, 
ob nicht eine den instruktionellen Vorschriften nicht ganz entsprechende Zu- 
stellung gleichwohl gültig ist. Der die Zustellung besorgende Gerichtsschreiber 
hat, wenn die Zustellung nicht als gültig erachtet wird, für die Behebung der 
Mängel zu sorgen. — In den Vorschriften über das Versäumnisverfahren sollte 
die in keiner anderen Prozeßordnung stehende Vorschrift, daß die Klage durch 
Sachurteil abgewiesen wird, wenn der Kläger in einem Verhandlungstermine 
nicht erschienen ist, dahin abgeändert werden, daß die Abweisung der Klage 
durch ein Prozeßurteil erfolgt, das der neuen Klageerhebung nicht im Wege steht, 
wenn der Kläger im ersten Termine nicht erscheint. Wenn bereits in einem Ter- 
mine verhandelt und das von dem Kläger behauptete Recht vom Beklagten 
bestritten worden ist, sollte das Versäumnisverfahren sowohl gegenüber dem
	        
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