Erscheinungs-
forınen des
Verbrechens.
244 FRANZ voN Liszt: Strafrecht und Strafprozeßrecht.
hat. Beispiel: der Händler verkauft die ungereinigten Kleider eines an Cholera
Gestorbenen, da es ihm nur um den Gewinn zu tun und die Ansteckung des
Käufers gleichgültig ist.
Jede schuldhafte, rechtswidrige Handlung ist an sich straffähig; aber
nicht jede wird durch das jeweils geltende Recht für strafbar erklärt. Nur
wo die Unrechtsfolge des privatrechtlichen Delikts, die Ersatzpflicht, versagt
oder nicht ausreicht, sieht der Gesetzgeber sich veranlaßt, zur Strafdrohung zu
greifen. Das kriminelle Unrecht ist daher vom privatrechtlichen Delikt nicht
qualitativ, sondern nur quantitativ verschieden. Mehrfach macht der Gesetz-
geber den Eintritt der Strafsanktion aber noch abhängig von dem Vorliegen
einer besonderen Voraussetzung, die mit dem Tatbestand des Verbrechens
an sich nichts zu tun hat; so sind hochverräterische Handlungen gegen be-
freundete Staaten, Beleidigungen eines außerdeutschen Landesherrn nur dann
strafbar, wenn durch das ausländische Recht die ‚Gegenseitigkeit verbürgt‘
wird.
b) Erscheinungsformen des Verbrechens, auf welche die heutige
Gesetzgebung der Kulturstaaten übereinstimmend Rücksicht nimmt, sind
Vollendung und Versuch, Täterschaft und Teilnahme, Einheit und Mehrheit
des Verbrechens. Auch andere Modalitäten der Begehung können nach einzelnen
Richtungen hin von Bedeutung werden; so sind nach dem Recht der süd-
deutschen Staaten die durch die Presse begangenen Delikte vor die Schwur-
gerichte verwiesen.
Nicht bloß das vollendete, sondern schon das versuchte Verbrechen
ist in allen schwereren Fällen strafbar. Dagegen bleiben die Vorbereitungs-
handlungen (Erwerb des Giftes) straflos; der strafbare Versuch beginnt erst
mit dem „Anfang der Ausführung‘' (mit dem Beibringen des Giftes). Über den
tieferen Grund für die Strafbarkeit des Versuchs gehen die Ansichten weit
auseinander; nach den einen soll die Betätigung des verbrecherischen Willens,
nach den anderen die objektive Gefährlichkeit der Tat, also die Möglichkeit des
Erfolgseintrittes, maßgebend sein. Diese grundsätzlich verschiedene Auf-
fassung äußert sich vor allem in der Beurteilung des untauglichen Versuchs.
Beispiel: der Täter beabsichtigt einen Giftmord; er verwendet aus Versehen
statt des Giftes ein harmloses Pulver oder er wendet eine wirkungslose Dosis
Gift an, von der er irrtümlich tödliche Wirkung voraussetzt. Die meisten
Gesetzbücher, unter diesen auch- das deutsche, erwähnen diesen Fall nicht
ausdrücklich. Das deutsche Reichsgericht hat alle Fälle des untauglichen Ver-
suchs, soweit nicht etwa abergläubische Mittel angewendet worden sind, für
strafbar erklärt; die überwiegende Ansicht in der Literatur hält daran fest,
daß bei objektiv erkennbarer Unmöglichkeit des Erfolgseintrittes (übergroße
Entfernung beim Versuch des Erschießens) kein strafbarer Versuch vorliege.
Während nach Auffassung des französichen Rechtes der Versuch ebenso schwer
gestraft wird wie das vollendete Verbrechen, verlangt das deutsche Strafgesetz-
buch Strafmilderung für den Versuch; so tritt bei versuchtem Mord an Stelle
der Todesstrafe eine Zuchhausstrafe von 3 bis I5 Jahren. Hat der Täter die