246 FRANZ von Lis2T: Strafrecht und Strafprozeßrecht.
schützt er das Gut gegen jede wie immer geartete Verletzung (also das Leben
gegen jede Tötung, die Freiheit gegen jede Nötigung). Vielleicht schützt er es
strafrechtlich nur gegen bestimmt geartete Verletzungen oder er stuft seine
Strafdrohungen je nach der Verschiedenheit der Verletzung ab; so wird das
Eigentum an beweglichen Sachen geschützt gegen rechtswidrige Aneignung
(Diebstahl, Unterschlagung, Raub), das Eigentum an beweglichen wie an un-
beweglichen Sachen gegen Beschädigung oder Zerstörung der Sachsubstanz;
dagegen nur ganz ausnahmsweise (bei öffentlichen Pfandleihern) gegen rechts-
widrigen Gebrauch, so daß es straflos bleibt, wenn das Dienstmädchen in der
Abwesenheit der Herrin deren Kleider trägt. Vielleicht — aber das sind nur
Ausnahmefälle — erstreckt der Gesetzgeber seinen Strafschutz auch auf bloße
Gefährdung; so ist der Zweikampf strafbar, auch wenn er zu einer Körper-
verletzung überhaupt nicht geführt hat.
Überall dort, wo der Gesetzgeber sich über diese beiden Fragen nicht klar
geworden ist (etwa bei der Bestrafung des unlauteren Wettbewerbes), entstehen
nicht bloß für die wissenschaftliche Auffassung, sondern auch für die praktische
Handhabung des Verbrechensbegriffes Schwierigkeiten und Zweifel. Leider
sind diese Fälle in allen modernen Strafgesetzbüchern überaus häufig.
Dreiteilung der b) Der französische Code p£nal hatte die sämtlichen strafbaren Handlungen
strafbaren Hand- . . . . ’ .
tungen in Ver- Nach der Schwere der auf sie gesetzten Strafe in crimes, delits und contraventions
brechen, Ver- eingeteilt. Diese Dreiteilung, gegen die sich manche grundsätzlichen Bedenken
an geltend machen ließen, hatte für die französische Gesetzgebung den großen
praktischen Vorteil, daß sie einen einfachen Aufbau der Gerichtsverfassung (siehe
unten S. 262) und damit der gesamten Gestaltung des Strafprozesses ermöglichte.
Das Reichsstrafgesetzbuch hat, dem Preußischen folgend, die Dreiteilung aus
dem französischen Recht übernommen, obwohl man sich längst darüber klar
war, daß sie die Grundlage für die Gerichtsverfassung bei uns nicht abgeben
könne, daß vielmehr den Schwurgerichten nicht alle, sondern nur die schwersten
Verbrechen und daß den Schöffengerichten nicht nur die Übertretungen, sondern
auch die leichteren Vergehen übertragen werden müßten. Verbrechen heißen
nach deutschem Recht alle Handlungen, die mit dem Tode, mit Zuchthaus oder
mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedroht sind; Vergehen die Hand-
Jungen, die mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geld-
strafe von mehr als 150 Mark bedroht sind; Übertretungen endlich alle mit Haft
oder mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bedrohten Handlungen. Maßgebend ist
für die Unterscheidung die angedrohte, nicht die erkannte Strafe; bei alter-
nativer Strafdrohung („Zuchthaus oder Gefängnis‘‘) die schwerste der ange-
drohten Strafen. Die Unterscheidung wird nach verschiedenen Richtungen hin
von Bedeutung. So ist der Versuch eines Verbrechens immer, der eines Vergehens
nur in den besonders hervorgehobenen Fällen, der einer Übertretung niemals
strafbar; Beihilfe zu Übertretungen bleibt straflos usw. Wenn in den Straf-
drohungen der sog. Nebengesetze neben Haft alternativ eine Geldstrafe von
mehr als 150 Mark angedroht wird, was häufig genug vorkommt, so ist die
Handlung zum Vergehen gestempelt und damit die Strafbarkeit der Beihilfe