Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

A. Frühere Rechtstheorien. II. Die historische Rechtsschule. 7 
eigentliche Objekt der Betrachtung, den Volksgeist, aus seinen Äußerungen im 
Gange der Rechtsgeschichte besser in seiner Eigenart verstehen zu können. 
Endlich folgt aus jenen Prämissen, daß es für die geschichtliche Rechts- 
theorie eine selbständige kritische Betrachtung des Inhaltes eines Rechtes 
nicht gibt. Denn die rechtliche Ordnung ist ja die von dem Volksgeiste zwingend 
erschaffene gemeinsame Überzeugung, und über diesem besteht keine weitere 
Instanz. Höchstens kann man ihn mißverstehen und etwas als -Recht aus- 
geben, was in Wahrheit jenem Merkmal gar nicht entspricht. Eine Ausein- 
andersetzung mit dem Problem, wie neben der Betrachtung des Werdens 
eines Gegenstandes dessen Sein in eigener Richtung erwogen und bestimmt 
sein will, und letzteres sogar unvermeidlich den logischen Primat vor dem erste- 
ren habe, findet sich bei den Anhängern der besprochenen Richtung nicht. 
Und doch ist zu beachten, daß etwas, das in genetischer Hinsicht als not- 
wendig verursacht erkannt ist, für die systematische Betrachtung zu- 
fällig sein kann; auch Sinnestäuschungen und inhaltlich schlechtes Wollen 
entstehen in historisch notwendigem Prozeß. 
Aber auch gegen die Art der genetischen Auffassung der historischen 
Rechtsschule bestehen ungelöste Bedenken. 
Die Vorstellung von dem ,‚Volke‘‘ als einem beseelten und denkenden 
Wesen außer uns würde nur dann wissenschaftlich begründet sein, wenn sie 
notwendig wäre, um den Gedanken des menschlichen Gemeinschaftslebens 
einheitlich zu fassen und das soziale Dasein der Menschen als eigenen Gegen- 
stand zu begreifen und einzusehen. Denn die Vorstellung eines Dinges als 
eines denkenden Wesens bedeutet die Übertragung meines Selbstbewußt- 
seins auf etwas, das ich mir ohne diese übertragende Vorstellung nicht zu denken 
vermag, z. B. auf ein Lebewesen, das ein Mensch ist, wie ich selbst. Nun kann 
man aber das gesellschaftliche Leben der Menschen sehr wohl in eigener 
Methode erhalten und als Objekt selbständiger wissenschaftlicher Betrachtung 
einsehen und erforschen, ohne die Vorstellung zu Hilfe zu nehmen, daß es 
selbst eine leiblich-geistige Einheit im Sinne einer überindividuellen Wesen- 
heit sei. 
Dazu kommt dieses. Das ‚„Volk‘‘ soll als ein natürliches Ding neben 
den Menschen stehen, und sein ‚„Geist‘‘ die gemeinsamen Überzeugungen, so 
auch die des Rechtes, bewirken. Mithin würde es zu den Gegenständen 
der Erfahrung zählen und müßte deshalb auch den Grundgesetzen der 
Erfahrung unterliegen. Es bleibt aber undeutlich, wie ein Volk oder ein 
anderer menschlicher Verband eine leibliche Einheit sein können, da sie 
doch im Raume nicht angetroffen werden, und ein „leiblicher‘‘ Gegenstand, 
der nicht unter der Bedingung der räumlichen Anschauung stände, einen inne- 
ren Widerspruch bedeutet. Und fernerhin gehört es zu den Grundsätzen der 
Erfahrung, daß jede Ursache einer Veränderung selbst wieder die Wirkung einer 
vorausgegangenen Ursache ist, so, daß beim Streichen dieser Methode eine ein- 
schlägige Behauptung von objektiver Gültigkeit nicht mehr begreiflich ist. 
Der Volksgeist im Sinne der hier erwogenen Lehre wird aber zugleich als Ur-
	        
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