Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

A. Das Strafrecht. III. Neue Ideen. 259 
erklären. Vor allem der Kampf gegen den verschwenderischen Mißbrauch, der 
mit der kurzen Freiheitsstrafe heute noch in allen Kulturländern getrieben 
wird; denn daß diese Strafe weder bessert noch abschreckt, noch unschädlich 
macht, wird heute von allen Seiten zugegeben. Dann der Gedanke der bedingten 
Verurteilung, durch welche die der Rechtsordnung gemäße Lebensführung des 
Schuldigen ohne Bestrafung gesichert werden soll; ein Gedanke, der heute in 
der einen oder anderen Form von allen Kulturstaaten verwirklicht worden ist 
(in Deutschland seit 1895 als bedingte Begnadigung). Weiter die Forderung 
nach einer Differenzierung der Freiheitsstrafen, damit die Strafvollstreckung 
dem im Einzelfall angestrebten Zweck (Besserung oder Abschreckung oder 
Unschädlichmachung) angepaßt werden kann. Ferner der Vorschlag, daß die 
Geldstrafe, soweit nicht bloß Übertretungen in Frage stehen, nach dem Ein- 
kommen des Schuldigen bemessen werde und daß sie in keinem Fall bei Unein- 
bringlichkeit in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werde, die für den Unbe- 
mittelten ein privilegium odiosum schafft. Derselben Auffassung entstammen 
aber auch die verschiedenen von anderen Seiten gemachten, ernster Kritik 
nicht standhaltenden Vorschläge: so der Kampf für die Prügelstrafe, deren Wieder- 
einführung uns eine Standesjustiz schlimmster und verbitterndster Art bringen 
würde; für die Deportation, die sich noch in keinem Lande auf die Dauer be- 
währt hat, und anderes mehr. 
b) Noch schärfer unterscheidet sich aber die moderne kriminalpolitische Beserungs- und 
Richtung von Anschauungen, die noch vor 30 Jahren als unerschütterlich galten, 
durch die Betonung der Besserungs- und Sicherungsmaßregeln, die 
neben oder an Stelle der eigentlichen Strafe vorgeschlagen werden. Die Fürsorge- 
erziehung ist, dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches zum Trotz, von 
den bereits dem Verbrechen anheimgefallenen Kindern und Jugendlichen 
auf die Fälle der sittlichen Verwahrlosung ausgedehnt und damit eine unserer 
dringendsten Forderungen erfüllt worden. Daß die Gesellschaft gegen geistes- 
kranke und vermindert zurechnungsfähige Verbrecher, die zugleich als gemein- 
gefährlich erscheinen, durch dauernde Verwahrung dieser Personen geschützt 
werden muß, wird heute fast allgemein zugegeben. Um weitere Forderungen, 
die von den Vertretern der neuen Richtung erhoben werden, dauert der Kampf 
noch fort; aber auch hier wird die Weiterentwickelung der neuen Gedanken 
die Entscheidung zugunsten dieser Forderungen in nicht zu ferner Zukunft 
bringen. Dabei steht die dauernde Verwahrung der unverbesserlichen, gewerbs- 
oder gewohnheitsmäßigen Verbrecher, dann aber auch die zweckentsprechende 
Bekämpfung von Bettelei und Landstreicherei im Vordergrunde des Interesses. 
Es handelt sich also um ein ganzes System von kriminalpolitischen Vor- 
schlägen, das sich über die Umgestaltung des Strafensystems und der Straf- 
vollstreckung hinaus erstreckt auf eine ganze Reihe von Besserungs- und 
Sicherungsmaßregeln, um in seinen letzten Verzweigungen überall in die Sozial- 
politik einzumünden. Neben der strafrechtlichen Dogmatik, die bis vor wenig 
Jahren die Alleinherrschaft innerhalb der Strafrechtswissenschaft führte, hat 
sich eine neue kriminalistische Wissenschaft entwickelt, die heute noch um 
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